Leitsatz (amtlich)

1. Die Vermeidung von Gefahren, die sich aus Schnee- oder Eisglätte ergeben, ist dem Schutzbereich der Räum- und Streupflicht zuzuordnen. Der für öffentliche Wege und Plätze Unterhaltspflichtige ist in der Regel nicht verpflichtet, durch zusätzlich bauliche Maßnahmen zu verhindern, dass sich Eisglätte bilden kann.

2. Einigt sich der Geschädigte in einem Vergleich mit dem Schädiger endgültig über die ihm aufgrund der Verletzung der Räum- und Streupflicht zustehenden Ansprüche, kann er nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld auch von dem ihm wegen der Verletzung der Pflicht zur Überwachung des Schädigers grundsätzlich Haftenden keinen weiter gehenden Schadensersatz fordern.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 20.06.2003; Aktenzeichen 9 O 151/02)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 20.6.2003 - 9 O 151/02 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten mit der Behauptung, diese habe ihre Räum- und Streupflicht verletzt, Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. Mit dem gleichen Begehren hat die Klägerin bereits die Eigentümer des an den Weg angrenzenden Grundstücks im Verfahren des LG Karlsruhe, 2 O 27/01, in Anspruch genommen, das durch einen Abfindungsvergleich endete. Hier hat das LG lediglich den Feststellungsantrag nach Maßgabe von Ziff. 1 des Urteilsausspruchs zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen, da sich die Klägerin die aufgrund des in dem Parallelverfahren abgeschlossenen Vergleichs geleisteten Zahlungen durch die Eigentümergemeinschaft anrechnen lassen müsse, sodass die Beklagte aufgrund der ihr vorzuwerfenden Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nur noch für den nicht abgegoltenen und darüber hinausgehenden Schaden hafte. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der getroffenen Feststellungen wird auf das Urteil verwiesen. Gegen dieses wendet sich die Beklagte, die unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags im ersten Rechtszug die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bestreitet, auf die Gesamtwirkungen des Vergleichs hinweist und darauf gestützt weiterhin die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

II. Die Berufung hat Erfolg.

1. Dabei kann offen bleiben, ob das LG berechtigt war, die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten aus Umständen herzuleiten, auf die die Klägerin ihr Begehren nicht stützte. Denn konkreter Vortrag der Klägerin zu einer Verletzung der Kontrollpflicht der Beklagten fehlt, obwohl es Aufgabe der für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darlegungs- und beweispflichtige Klägerin gewesen wäre darzutun, dass die Beklagte bei ordnungsgemäßer Überwachung Kenntnis von der Verstopfung hätte haben müssen und dass bei ordnungsgemäß durchgeführter Überwachung es nicht zu dem Sturz gekommen wäre. Aus dem Umstand, dass der Abfluss zum Zeitpunkt des Sturzes verstopft war, folgt allein noch keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Umstände, die eine ständige Kontrolle erfordert hätten, sind nicht ersichtlich. Feststellungen zu durchgeführten Kontrollen fehlen.

2. Zur Vornahme baulicher Maßnahmen, die eine Bildung von Pfützen auf dem Fußweg verhinderten, war die Beklagte aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht gehalten. Eine Verpflichtung, die Bildung von Pfützen auf öffentlichen Wegen und Plätzen im Winter zu verhindern, stellte eine Überspannung der Anforderungen dar und wäre unzumutbar. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen muss der Fußgängerverkehr Unebenheiten hinnehmen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.6.1992 - 7 U 56/91, VersR 1993, 332; Urt. v. 11.10.2000 - 7 U 119/99, OLGReport Karlsruhe 2001, 238 m.w.N.), was auch für die Winterzeit gilt, denn die Anforderungen an die Ausgestaltung von Fußgängerwegen können nicht von der Wetterlage abhängen. Die Abwehr der Gefahren, die hier zum Sturz der Klägerin geführt haben, ist ausschließlich dem Bereich der Räum- und Streupflicht zugeordnet. Diese spezielle, den winterlichen Gefahren Rechnung tragende Ausgestaltung der Verkehrssicherungspflicht bestimmt Art und Umfang der Maßnahmen, die von dem Räum- und Streupflichtigen (und nicht vom Straßenbaulastträger) zu ergreifen sind.

3. Da die Gemeinde die Räum- und Streupflicht wirksam durch Satzung auf die Straßenanlieger übertragen hat, kommt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in diesem Bereich durch die beklagte Gemeinde nur in Betracht, wenn diese die bei ihr verbliebene Verpflichtung, die Erfüllung der Räum- und Streupflicht durch die Anlieger zu überwachen (BGH v. 11.6.1992 - III ZR 134/91, BGHZ 118, 368 [373] = MDR 1992, 1032; NJW 1966, 2311 [2312]; OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.2.2002 - 7 U 117/00, OLGReport Karlsruhe 2002, 351), verletzt hat. Auch für diese tatsächlichen Voraussetzung...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge