Leitsatz (amtlich)

In der Berufsunfähigkeitsversicherung mit abstrakter Verweisung kann der Versicherte nicht auf eine Tätigkeit als Angestellter verwiesen werden, die gegenüber der früheren selbständigen Tätigkeit bei geringeren Anforderungen an die Qualifikation und geringerer gesellschaftlicher Wertschätzung eine kürzere Arbeitszeit, ein höheres Entgelt und eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung bietet.

Hat der Versicherte neue berufliche Fähigkeiten freiwillig erworben, darf der Versicherer wegen einer neuen Berufstätigkeit von seinem Recht zur Leistungseinstellung erst dann Gebrauch machen, wenn der Versicherte eine Festanstellung gefunden hat.

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Urteil vom 15.05.2012; Aktenzeichen 2 O 30/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Heidelberg vom 15.5.2012 - 2 O 30/11 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die Bestandteil eines Kapitallebensversicherungsvertrags mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungsschein vom 15.12.1997) ist, der u.a. die besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde liegen. Deren § 2 Abs. 1 lautet:

"Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht."

Der am 9.4.1970 geborene Kläger war seit Mai 1997 als selbständiger Gas- und Wasserinstallateur-Meister tätig. Sein Unternehmen "war auf sanitäre Anlagen, Gasanlagen und Blechbearbeitung spezialisiert und als Ein-Mann-Betrieb ausgestaltet".

Im Jahr 1998 erkrankte der Kläger erstmals an einer ausgeprägten Depression. Aufgrund der häufigen schweren depressiven Episoden musste der Kläger seinen Betrieb zum 31.12.2001 auflösen. Der Kläger machte im Mai 2002 Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gegenüber der Beklagten geltend. Diese erkannte die Berufsunfähigkeit an und erbrachte bedingungsgemäß Leistungen ab dem 1.8.2001. In der Folgezeit überprüfte die Beklagte ihre Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsvorsorge in regelmäßigen Abständen durch Zusendung von Fragebögen zu den gesundheitlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers. Ab Januar 2003 nahm der Kläger an einer Umschulung zum medizinisch-technischen Laborassistenten (MTLA) teil. Diese Ausbildung musste er im Jahr 2005 aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen, da er erneut aufgrund seiner Depression krankgeschrieben wurde. Im Juli 2006 konnte der Kläger die Ausbildung fortsetzen und im Jahr 2007 erfolgreich beenden. Seit Mitte Mai 2008 ist der Kläger als medizinisch-technischer Laboratoriums-Assistent bei der Universitätsklinik H beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen beträgt derzeit 2.450 EUR.

Mit Schreiben vom 12.7.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihre Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsvorsorge ab dem 1.9.2010 einstellen werde und dass ab diesem Zeitpunkt wieder die Beiträge zu zahlen seien. Die Tätigkeit als MTLA erfülle die bedingungsgemäße Anforderung der Wahrung der bisherigen Lebensstellung. Diese werde im Wesentlichen durch das erzielte Einkommen geprägt. Mit der heutigen Tätigkeit erziele der Kläger gegenüber seiner früheren Tätigkeit ein gleichwertiges Einkommen. Ab Oktober 2010 zahlte der Kläger wieder fortlaufend Beiträge i.H.v. monatlich 157,37 EUR an die Beklagte. In der Folgezeit forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte mehrfach auf, die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsvorsorge wieder aufzunehmen. Der Kläger war mehrfach auch längerfristig arbeitsunfähig. Zunächst wurde ihm mitgeteilt, dass eine Verlängerung seines Arbeitsvertrages über den 30.6.2011 nicht mehr in Betracht komme. Erst nach einem anwaltlichen Schriftsatz mit Klagandrohung wurde der Vertrag dann bis zum 31.12.2012 verlängert.

Der Kläger hat behauptet, er könne nicht auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden könne und seiner bisherigen Lebensstellung entspreche. Die neue Tätigkeit als Angestellter MTLA entspreche nicht seiner bisherigen Lebensstellung. Ein selbständiger Handwerksmeister mit eigenem Betrieb müsse eine wesentlich höhere Qualifikation aufweisen als ein medizinisch-technischer Laboratoriums-...

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