Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigtes Verlassen der Unfallstelle und Versicherungsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Wer trotz Fremdschaden berechtigt die Unfallstelle verlässt, verletzt gegenüber dem Kaskoversicherer keine Obliegenheit, wenn er sich zwar weder an die Polizei noch an den Geschädigten wendet, umgehend aber den Versicherer über das Unfallereignis unterrichtet.

 

Normenkette

AKB § 7; VVG § 6 Abs. 3; StGB § 142

 

Verfahrensgang

LG Baden-Baden (Aktenzeichen 2 O 100/01)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 02.10.2002; Aktenzeichen I ZR 60/02)

 

Tatbestand

Die Klägerin kam – der Grund ist streitig – auf einer Landstraße ins Schleudern. Sie drehte sich und stieß gegen die Leitplanke. Ihr bei der Beklagten kaskoversicherter Wagen wurde erheblich beschädigt. Nachdem sie eine halbe Stunde an der Unfallstelle verblieben war, in der nur ein anderes Fahrzeug vorbeikam ohne anzuhalten, begab sie sich nach Hause. Von dort rief sie wenig später den Agenten ihres Kraftfahrtversicherers an und zeigte den Unfall an. Inwieweit sie ihm ggü. eine Beschädigung der Leitplanke angab, ist streitig. Die Beklagte hat Leistungen aus der Kaskoversicherung verweigert, da die Klägerin unerlaubt die Unfallstelle verlassen und ihr ggü. eine Beschädigung der Leitplanke nicht erwähnt hätte.

Das LG hat die Klage auf Erstattung der Reparaturkosten für das Auto abgewiesen, da die Klägerin ihre Obliegenheiten ggü. der Beklagten dadurch verletzt hätte, dass sie unerlaubt die Unfallstelle verlassen hätte. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gem. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 49 VVG, 13 Nr. 5 AKB Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Reparatur ihres Wagens …

1. …

2. Die Beklagte ist von ihrer Leistungspflicht nicht gem. §§ 7 Abs. 5 S. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG freigeworden. Die Klägerin hat – entgegen der Auffassung des LG – keine nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit verletzt.

a) Nach § 7 Abs. 1 S. 2 S. 3 AKB hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Die Aufklärungsobliegenheit erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort. Die Aufklärungsobliegenheit kann daher auch dadurch verletzt werden, dass der Versicherungsnehmer die Unfallstelle verlässt und dadurch den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB erfüllt (BGH VersR 2000, 222). Durch ein Verbleiben am Unfallort soll dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen einer Leistungspflicht ermöglicht werden, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann. Eine Rolle kann beispielsweise eine Alkoholisierung des Versicherungsnehmers spielen, die den Unfall (mit-)verursacht haben kann. Durch nachträgliche Angaben, deren Wahrheitsgehalt oft nicht überprüft werden kann, ist die Aufklärung nicht zuverlässig gewährleistet (BGH VersR 2000, 222). Das hat das LG im Grundsatz richtig erkannt.

b) Die Klägerin hat sich nicht unerlaubt von der Unfallstelle entfernt und dadurch die Aufklärung der Unfallursache und ihrer Beteiligung erschwert (§ 142 StGB). Sie hat den Unfallort nämlich nicht unberechtigt verlassen. Nach ihren unwidersprochenen und unwiderlegten Angaben in ihrer Anhörung im Berufungsverfahren wartete sie etwa 30 Minuten an der Unfallstelle. Diese Zeit hält der Senat für ausreichend. Hierbei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls, die für die im konkreten Fall angemessene Wartefrist nach der Auffassung eines verständigen Beurteilers eine Rolle spielen können, zu berücksichtigen (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 142 Rz. 31 m.w.N.). Beim Unfall der Klägerin entstand nur Sachschaden, insbesondere an ihrem eigenen Fahrzeug. Außerdem ereignete sich der Unfall auf einer Straße, die zu der Tageszeit, zu der die Klägerin verunfallte, regelmäßig sehr wenig frequentiert ist. Dementsprechend fuhr in der halben Stunde, in der die Klägerin wartete, nur ein Fahrzeug – ohne anzuhalten – vorbei.

c) Die Klägerin war nicht verpflichtet, nachträglich die Polizei vom Unfall zu benachrichtigen. Weder § 142 StGB noch § 7 AKB verlangen vom Unfallverursacher, dass er die Polizei informiert. Ob sich die Klägerin hier strafbar gemacht hat, weil sie ggü. einem Berechtigten oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle die Feststellungen nicht unverzüglich ermöglichte (§ 142 Abs. 2 StGB), kann offen bleiben. Ausreichend gewesen wäre – die Kenntnis der Klägerin von einem Fremdschaden unterstellt – die Benachrichtigung eines Berechtigten, hier somit des Trägers der Straßenbaulast. Wie hierdurch dem Aufklärungsinteresse der Beklagten hätte gedient werden können, ist nicht auszumachen. Selbst wenn man aber die Gleichstellung nicht nur eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort i.e.S. des § 142 Abs. 1 StGB, sondern auch ...

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