Leitsatz
Wer bei einem Unfall mit Sachschaden auch an fremden Sachen nach 30 Minuten Wartezeit den Unfallort verlässt und die Polizei nicht benachrichtigt, entfernt sich nicht unerlaubt von der Unfallstelle und verletzt gegenüber dem Kaskoversicherer nicht seine Aufklärungsobliegenheit, wenn er wenig später dem Versicherer den Unfall telefonisch anzeigt.
Normenkette
§ 6 Abs. 3 VVG§ 7 AKB§ 142 StGB
Sachverhalt
Die Kl. kam auf einer Landstraße mit ihrem Kfz ins Schleudern und stieß gegen eine Leitplanke. Ihr bei der Bekl. kaskoversicherter Wagen wurde erheblich beschädigt. Nachdem sie eine halbe Stunde an der Unfallstelle verblieben war, in der nur ein anderes Fahrzeug vorbeikam - ohne anzuhalten -, begab sie sich nach Hause. Von dort rief sie wenig später den Agenten ihres Kraftfahrtversicherers an und zeigte den Unfall an. Die Bekl. verweigerte Leistungen aus der Kaskoversicherung, da die Kl. unerlaubt die Unfallstelle verlassen und ihr gegenüber eine Beschädigung der Leitplanke nicht erwähnt hätte.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg.
Entscheidung
Die Kl. hat nach der Entscheidung des OLG gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 49 VVG, 13 Abs. 5 AKB Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Reparatur ihres Wagens. …
Die Bekl. sei von ihrer Leistungspflicht nicht gemäß §§ 7 V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG frei geworden. Die Kl. habe - entgegen der Auffassung des LG - keine nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit verletzt.
Nach § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB habe der VN nach Eintritt eines Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und der Minderung des Schadens dienlich sein könne. Die Aufklärungsobliegenheit erschöpfe sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstrecke sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des VN am Unfallort. Die Aufklärungsobliegenheit könne daher auch dadurch verletzt werden, dass der VN die Unfallstelle verlässt und dadurch den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB erfüllt. Durch das Verbleiben am Unfallort solle dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen einer Leistungspflicht ermöglicht werden, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadenereignis zusammenhängenden Tatsachen gehörten, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann. Eine Rolle könne beispielsweise eine Alkoholisierung des VN spielen, die den Unfall (mit-) verursacht haben kann. Durch nachträgliche Angaben, deren Wahrheitsgehalt oft nicht überprüft werden könne, sei die Aufklärung nicht zuverlässig gewährleistet. Das habe das LG im Grundsatz richtig erkannt.
Die Kl. habe sich nicht unerlaubt von der Unfallstelle entfernt und dadurch die Aufklärung der Unfallursache und ihre Beteiligung erschwert (§ 142 StGB). Sie habe den Unfallort nämlich nicht unberechtigt verlassen. Nach ihren unwidersprochenen und unwiderlegten Angaben habe sie etwa 30 Minuten an der Unfallstelle gewartet. Diese Zeit halte der Senat für ausreichend. Hierbei seien nämlich Umstände des Einzelfalls, die für die im konkreten Fall angemessene Wartefrist nach der Auffassung eines verständigen Beurteilers eine Rolle spielen können, zu berücksichtigen. Beim Unfall der Kl. sei nur Sachschaden entstanden, insbesondere an ihrem eigenen Fahrzeug. Außerdem habe sich der Unfall auf einer Straße ereignet, die zu der Tageszeit, zu der die Kl. verunfallte, regelmäßig sehr wenig frequentiert sei. Dementsprechend sei in der halben Stunde, in der die Kl. wartete, nur ein Fahrzeug - ohne anzuhalten - vorbei gefahren.
Die Kl. sei nicht verpflichtet gewesen, nachträglich die Polizei vom Unfall zu benachrichtigen. Weder § 142 StGB noch § 7 AKB verlangten vom Unfallverursacher, dass er die Polizei informiert. Ob sich die Kl. hier strafbar gemacht habe, weil sie gegenüber einem Berechtigten oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle die Feststellungen nicht unverzüglich ermöglichte (§ 142 Abs. 2 StGB) könne offen bleiben. Ausreichend gewesen wäre - die Kenntnis der Kl. von einem Fremdschaden unterstellt - die Benachrichtigung eines Berechtigten, hier somit des Trägers der Straßenbaulast. Wie hierdurch dem Aufklärungsinteresse der Bekl. hätte gedient werden können, sei nicht auszumachen. Selbst wenn man aber die Gleichstellung nicht nur eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im engeren Sinn des § 142 Abs. 1 StGB, sondern auch des erweiterten Tatbestands des § 142 Abs. 2 StGB mit einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit für sachgerecht hielte, könnte sich die Bekl. im vorliegenden Fall nicht auf Leistungsfreiheit berufen.
Vorliegend habe die Kl. zwar weder die Polizei noch einen Berechtigten verständigt, unverzüglich i. S. v. § 142 Abs. 2 StGB aber der Bekl. über deren Agenten Mitteilung vom Schadenfall gemacht. Bei der Fahrzeugversicherung solle der Versicherer in die Lage versetzt werden, eine sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht durchführen zu können. Die Pflichten nach § 142 Abs. 2 StGB spielten für das Aufklärungsinteresse des Versicherer...