Leitsatz (amtlich)
1. Die Nichtausübung eines, in einem Darlehensvertrag vereinbarten, sog. "verbrieften Rückgaberechts" schließt den Schadensersatzanspruch eines Käufers eines finanzierten Fahrzeugs (Motor EA 189) wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) gegen die Herstellerin des Motors grundsätzlich nicht aus. Die Vereinbarung des Rückgaberechts steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Zudem lässt die Nichtausübung des Rückgaberechts nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals grundsätzlich weder die Kausalität für den entstandenen Schaden entfallen noch ist dem Käufer die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB oder § 242 BGB verwehrt.
2. Zur Schadensberechnung im Falle des finanzierten Kaufs; zum Schadensumfang und zur Anrechnung der Nutzungsentschädigung auch auf den Finanzierungsaufwand im Wege der Vorteilsausgleichung, ggf. bis zur Erschöpfung beider Positionen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 13. April 2021 - VI ZR 274/20 -, juris Rn. 12 ff., 20).
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten - das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 26. September 2019 - 9 O 8/19 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.872,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- vom 12. Juli 2019 bis 4. Mai 2021 aus einem Betrag von 16.046,66 EUR, der sich ab 12. Juli 2019 bis 4. Mai 2021 Tag für Tag linear auf 13.872,17 EUR ermäßigt,
- und aus 13.872,17 EUR seit 5. Mai 2021
zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke A. vom Typ A 4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ....
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit dem Kauf eines von dem sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeugs.
Die Beklagte stellte unter der Bezeichnung "EA 189" einen Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5 her, in dessen Motorsteuerung eine zuvor entwickelte Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.
Der o.g. Dieselmotor wurde auf Veranlassung des Vorstands der Beklagten nicht nur in diversen Fahrzeugtypen der Beklagten verbaut, sondern auch in solchen der zum V.-Konzern gehörenden Unternehmen.
Mit verbindlicher Bestellung vom 30. März 2015 kaufte der Kläger ein Gebrauchtfahrzeug der Marke A., Typ A 4 2.0 l TDI zu einem Kaufpreis von 20.890 EUR brutto (vgl. LGU 2 f., Anlage K 1). Das erworbene Fahrzeug mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... wies im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger einen Kilometerstand von 72.696 auf. In dem Fahrzeug ist auf Veranlassung des Vorstandes der Beklagten der o.g. Dieselmotor des Typs EA 189 mit 2,0 Litern Hubraum verbaut, dessen Motorsteuerung im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger die o.g. Software zur Abgassteuerung enthielt.
Zur Finanzierung des Kaufpreises schloss der Kläger mit der A. Bank (im Folgenden: Darlehensgeberin) einen Darlehensvertrag inklusive Kreditschutzbrief über einen Nettodarlehensbetrag von 16.607,89 EUR (= Kaufpreis abzüglich Eigenleistung in Höhe von 5.000 EUR zuzüglich Beitrag für den Kreditschutzbrief in Höhe von 717,89 EUR) und einen Bruttodarlehensbetrag von 17.453,02 EUR inklusive Zinsen in Höhe von 845,13 EUR (vgl. Anlage 3 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung erster Instanz, I 353). Das Darlehen sollte zwischen dem 1. Juni 2015 und dem 1. Mai 2019 in 48 monatlichen Raten über jeweils 250 EUR und einer am 1. Mai 2019 fälligen Schlussrate in Höhe von 5.453,02 EUR zurückgezahlt werden. Der Darlehensvertrag enthielt ein verbrieftes Rückgaberecht. Dieses eröf...