Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall bei ärztlich verordneter Gruppen-Tanztherapie: Keine Verpflichtung des Arztes ggü. dem geschädigten Patienten zur Auskunft über die Identität des unfallverursachenden Mitpatienten
Leitsatz (amtlich)
1. Die ärztliche Schweigepflicht bezieht sich auch auf die Identität des Patienten.
2. Die ohne Einwilligung des Patienten erfolgte Offenlegung seiner Identität durch den Arzt oder dessen berufsmäßigen Gehilfen kann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter erfolgt.
3. Die Verpflichtung des Arztes zur Wahrung des Geheimbereichs des einen Patienten hat Vorrang gegenüber seiner vertraglichen Nebenpflicht zur Hilfe bei der Geltendmachung von gegen diesen Patienten gerichteten etwaigen Schadensersatzansprüchen eines anderen Patienten.
Normenkette
BGB § 242; StGB §§ 34, 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2; StPO § 53 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 06.02.2004; Aktenzeichen 4 O 88/03) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Offenburg vom 6.2.2004 - 4 O 88/03 - wird in Bezug auf den Klageantrag Nr. 1 lit. a in der modifizierten Fassung gemäß Berufungsantrag Nr. 2 (Auskunftserteilung über die Identität des Mitpatienten mit Vornamen Jürgen) als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.1. Die Klägerin, die sich seit dem 11.7.2002 in der von der Beklagten betriebenen Klinik O. in Z. - einer Fachklinik für psychogene Erkrankungen - einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterzog, nahm am 12.8.2002 an einer ärztlich verordneten Tanztherapie teil. Bei einer der unter der Aufsicht einer Mitarbeiterin der Beklagten durchgeführten Tanzübungen kollidierte die Klägerin mit einem Mitpatienten, kam zu Fall und zog sich erhebliche Verletzungen am rechten Bein zu. Der Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin kennt lediglich den Vornamen - Jürgen - des Mitpatienten, nicht aber seinen Nachnamen und seine Anschrift.
Erstinstanzlich hat die Klägerin beabsichtigt, die Beklagte und den unbekannten Mitpatienten gesamtschuldnerisch auf Ersatz des ihr infolge des Unfalls entstandenen - zunächst nicht bezifferten - materiellen und des mit 5.500 EUR angegebenen immateriellen Schadens in Anspruch zu nehmen. Dabei wollte sie zunächst im Wege der Stufenklage vorgehen und in der ersten Stufe von der Beklagten Auskunft über die Identität des Mitpatienten und in einer zweiten Stufe von der Beklagten und dem Mitpatienten als Gesamtschuldnern Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens sowie die Feststellung ihrer gesamtschuldnerischen Verpflichtung zum Ersatz aller aus dem Unfall herrührenden Folgeschäden verlangen.
Nachdem das LG wiederholt auf Bedenken in Hinblick auf die Zulässigkeit der erhobenen "Stufenklage" hingewiesen hatte, hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 erklärt, "dass er nunmehr einen Schmerzensgeldantrag gegen die Beklagte als Leistungsantrag geltend machen" und "auch bezüglich des geltend gemachten Schadensersatzes nunmehr einen Leistungsantrag stellen" werde (I 271). Er hat sodann beantragt,
1.a) die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, welcher Patient sie während der Übungsstunde am 12.8.2002 um ca. 09.30 Uhr durch seinen Sturz am Bein verletzte;
b) die Beklagte gesamtschuldnerisch mit dem unter lit. a) ermittelten Patienten zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 25.358 EUR sowie Schmerzensgeld i.H.v. 5.500 EUR, jeweils verzinslich ab dem 29.8.2003, zu verurteilen;
2. die Beklagte und den unter Nr. 1 lit. a) festgestellten Patienten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, der Klägerin alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Wegen der von der Klägerin erstinstanzlich verfolgten Ansprüche, des zugrunde liegenden Sachverhalts und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
2. Das LG hat die Klage hinsichtlich Klageantrag 1 lit. a als unbegründet und hinsichtlich der Klageanträge 1 lit. b und 2 als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:: Die Klage sei zwar nicht als Stufenklage zulässig, weil sie nicht der Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs, sondern der Ermittlung eines weiteren möglichen Gesamtschuldners dienen solle. Jedoch könne das Klagevorbringen in eine Klagehäufung gem. § 260 ZPO umgedeutet werden. Der sonach zulässige Auskunftsantrag Nr. 1 lit. a sei aber unbegründet, denn die Beklagte sei zur Preisgabe von Namen und Anschrift des Patienten nicht verpflichtet: Beides gehöre zu dem durch § 203 StGB geschützten Rechtsgut, so dass sie sich bei der verlangten Auskunftserteilung strafbar gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 StGB machen würd...