Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsquote bei einer Vorfahrtsverletzung ("rechts vor links" an einer Einmündung)
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Vorfahrtsverletzung an einer Einmündung, an der die Regel "rechts vor links" gilt, haftet der Wartepflichtige in der Regel allein, wenn eine Pflichtverletzung des Vorfahrtsberechtigten nicht vorliegt, bzw. nicht nachgewiesen ist.
2. Zu Gunsten des Vorfahrtsberechtigten gilt der sog. Vertrauensgrundsatz; das heißt, er darf normalerweise darauf vertrauen, dass ein Fahrzeug, das sich von links nähert, rechtzeitig vor der Eimündung anhalten wird.
3. Den Vorfahrtsberechtigten trifft kein Vorwurf, wenn er in der Zeit unmittelbar vor der Kollision nicht nach links schaut, weil er seinerseits den Vorrang von Fahrzeugen berücksichtigen muss, die sich eventuell aus der anderen Richtung - aus seiner Sicht von rechts - der Einmündung nähern.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 3; StVO § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 22.10.2010; Aktenzeichen 8 O 123/09) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Freiburg vom 22.10.2010 - 8 O 823/09 - in der Hauptsache wie folgt abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.600,32 EUR zu zahlen, nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
- aus 5.722,01 EUR seit dem 17.4.2009,
- aus weiteren 346,31 EUR seit dem 9.6.2009,
- aus weiteren 532 EUR seit dem 23.6.2009.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Am 21.3.2009 kam es in Freiburg zu einem Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin als Fahrerin eines Pkw Opel Astra und der Beklagte als Fahrer eines Lkw Iveco beteiligt waren. Die Klägerin befuhr die Verbindungsstraße von der ... zur ..., und wollte an der Einmündung zur ... nach links einbiegen. Der Beklagte befuhr mit dem Lkw die ... - aus der Sicht der Klägerin von links kommend - und wollte an der einmündenden Straße geradeaus weiter fahren. Im Bereich der Einmündung kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Es gab im Bereich der Einmündung keine Vorfahrtsregelung durch Verkehrszeichen, so dass für die Vorfahrt die Regel rechts vor links galt. Sowohl auf der vom Beklagten befahrenen ..., als auch auf der von der Klägerin befahrenen Verbindungsstraße, war die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt.
Die Klägerin hat im Verfahren vor dem LG von dem Beklagten Ersatz ihres Schadens (Fahrzeugschaden, Sachverständigenkosten, Unkostenpauschale, Abschleppkosten und Nutzungsausfall) erlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei aufgrund einer Vorfahrtsverletzung allein verantwortlich für den Unfall. Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Eine Vorfahrtsverletzung liege nicht vor. Der Beklagte hat zudem bestritten, dass die Klägerin Eigentümerin des beschädigten Pkw Opel Astra gewesen sei. Im Übrigen hat der Beklagte Einwendungen zur Höhe verschiedener Schadenspositionen erhoben.
Das LG hat mit Urteil vom 22.10.2010 dem Klageantrag im Wesentlichen entsprochen, und den Beklagten zur Zahlung von 6.623 EUR nebst Zinsen verurteilt. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen K. zum Unfallablauf, stehe fest, dass der Beklagte für den Unfall allein verantwortlich sei, weil er die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs der Klägerin verletzt habe. Daher hafte er für den Schaden der Klägerin in voller Höhe. Von den geltend gemachten Schadenspositionen sei lediglich beim Fahrzeugschaden ein geringfügiger Abzug vorzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des LG verwiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten. Im Berufungsverfahren akzeptiert der Beklagte, dass er die Vorfahrt der Klägerin verletzt habe; hieraus ergebe sich jedoch eine Haftung lediglich in Höhe einer Quote von 50 Prozent, da die Klägerin die Kollision durch einen erheblichen eigenen Verkehrsverstoß mitverursacht habe. Die erstinstanzlichen Angaben der Klägerin zum Unfallablauf seien teilweise unglaubwürdig. Sie hätte bei genügender Aufmerksamkeit ohne Schwierigkeiten erkennen können, dass sich der Beklagte von links mit dem Lkw der Einmündung näherte. Aus dem erstinstanzlichen Gutachten des Sachverständigen K. ergebe sich, dass die Klägerin den Unfall unschwierig hätte vermeiden können, wenn sie etwa zwei Sekunden vor der Kollision nach links geschaut hätte; denn dann hätte sie das Fahrzeug des Beklagten gesehen, und hätte rechtzeitig vor der Einmündung anhalten können. Die Klägerin sei sozusagen "blind" in die ... hineingefahren. Das LG habe die Feststellungen des Sachverständigen K. in diesem Punkt nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts des Unfallablaufs sei sogar nicht auszuschließen, dass die Klägerin den Unfall bewusst provozi...