Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsquote bei fehlerhaft gesetztem Fahrtrichtungsanzeiger des Vorfahrtsberechtigten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Jeder Verkehrsteilnehmer muss grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass der rechte Blinker eines bevorrechtigten Fahrzeugs versehentlich gesetzt sein kann. Wer an einer Kreuzung wartepflichtig ist, darf in der Regel nicht allein im Vertrauen auf den rechten Fahrtrichtungsanzeiger des anderen Fahrzeugs in die Kreuzung einfahren, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass das bevorrechtigte Fahrzeug trotz des Blinkers geradeaus weiterfährt.

2. Kommt es zu einem Kreuzungsunfall, weil der wartepflichtige Fahrzeugführer wegen des rechts gesetzten Blinkers auf ein Abbiegemanöver des Vorfahrtsberechtigten vertraut hat, trifft den Wartepflichtigen in der Regel das überwiegende Verschulden.

3. Wenn - außer der Vorfahrtsverletzung einerseits und dem fehlerhaft gesetzten Blinker andererseits - keine sonstigen wesentlichen Verursachungsbeiträge der Beteiligten zu berücksichtigen sind, kommt eine Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Gunsten des Vorfahrtsberechtigten in Betracht.

 

Normenkette

StVG § 17 Abs. 1-2, § 18 Abs. 3; StVO § 1 Abs. 2, § 8 Abs. 1 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 5 O 262/18)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 22.02.2019 - 5 O 262/18 - aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

4. Die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 30 % und die Klägerin zu 70 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 03.04.2018 gegen 18:15 Uhr in H. geltend.

Der Zeuge D. befuhr mit dem Pkw der Klägerin Renault Megan mit dem amtlichen Kennzeichen xxx die Straße in H., die südöstlich von dem Sportplatz "B." in rechtem Winkel in die B 3 einmündet, und hielt an der Einmündung zur B 3 in der Absicht, nach links auf die B 3 in Fahrtrichtung K. abzubiegen. Der Zeuge D. war im Hinblick auf die vorfahrtsberechtigte Bundesstraße B 3 wartepflichtig. Der Beklagte Ziffer 1 befuhr zum Unfallzeitpunkt mit dem Fahrzeug Opel Corsa amtliches Kennzeichen yyy, das zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert war, die B 3 und hatte bei Annäherung an den Einmündungstrichter zu der Straße, aus der der Zeuge D. aus Fahrtrichtung des Beklagten Ziffer 1 gesehen von rechts kam, den Fahrtrichtungsanzeiger rechts gesetzt. Der Zeuge D. leitete daraufhin den Linksabbiegevorgang auf die B 3 ein, wo der Beklagte Ziffer 1 mit seinem Fahrzeug statt nach rechts abzubiegen, seine Fahrt geradeaus fortsetzte, wodurch es zu einer Kollision zwischen den Fahrzeugen kam. Dabei wurde das klägerische Fahrzeug an der linken vorderen Seite und das Fahrzeug des Beklagten Ziffer 1 vorne recht beschädigt.

Der Schaden der Klägerin beträgt - im Verfahren vor dem Landgericht unstreitig geworden - insgesamt 5.326,19 EUR. Die Klägerin hat zunächst mit ihrer Klage Zahlung von 5.996,76 EUR nebst Zinsen verlangt. Die Beklagte hatte vorgerichtlich eine Vorschusszahlung in Höhe von 2.000,00 EUR unter dem Vorbehalt einer Verrechnung und Rückforderung geleistet. Nach einer Tilgungsbestimmung der Beklagten und einem Verzicht auf den Rückforderungsvorbehalt hat die Klägerin noch 3.996,76 EUR Restforderung nebst Zinsen geltend gemacht.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte Ziffer 1 habe bei der Annährung an die Einmündung nicht nur nach rechts geblinkt, sondern auch die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs ohne verkehrsbedingten Anlass erheblich verlangsamt. Außerdem habe er das Fahrzeug nach rechts gezogen. Unter diesen Umständen sei der Zeuge D. zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte Ziffer 1 nach rechts habe abbiegen wollen. Der Unfall sei für die Klägerseite mithin unvermeidbar gewesen. Als der Zeuge erkannt habe, dass der Beklagte Ziffer 1 seine Fahrt geradeaus fortsetzen werde, habe er eine Kollision nicht mehr vermeiden können. Unter diesen Umständen sei der Schaden der Klägerin von den Beklagten in voller Höhe zu ersetzen.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Der Fehler des Beklagten Ziffer 1, der bei seiner Fahrt auf der B 3 nicht bemerkt habe, dass der rechte Blinker sich nach einem vorausgegangenen Einbiegemanöver nicht zurückgestellt habe, wiege deutlich weniger schwer als die Vorfahrtsverletzung des Zeugen D.. Eine Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz könne daher nur maximal in Höhe einer Haftungsquote von 25 % bestehen.

Das Landgericht hat im Urteil vom 22.02.2019 die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung in Höhe von 1.828,33 EUR sowie weiteren 313,64 EUR vorgerichtlichen Anwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, verurteilt, sowie zur Zahlung von Zinsen aus einem Betrag von 2.000,00 EUR für die Zeit vom 01.05.2018 bis zum 01.02.2019. Die zuerkannte Schadensersatzforderung ergebe sich aus einer Haf...

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