Leitsatz (amtlich)

1. Die Eignung eines groben Behandlungsfehlers für eine Schädigung ist zu verneinen, wenn Anhaltspunkte für eine kausale Verknüpfung des Behandlungsfehler mit dem Schaden fehlen, diese bloß theoretisch denkbar ist, da dies fast nie ausgeschlossen werden kann.

2. Beweislerleichterung bis hin zur Beweislastumkehr für eine kausale Verknüpfung eines groben Behandlungsfehlers mit einem Schaden kommen auch dann nicht in Betracht, wenn sich das Risiko, das der Beurteilung des Behandlungsfehlers als grob zugrunde liegt, sich nicht verwirklicht hat und das Risiko, das sich verwirklicht hat, den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers nicht rechtfertigt.

 

Verfahrensgang

LG Mosbach (Urteil vom 11.08.1998; Aktenzeichen 2 O 413/96)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Mosbach vom 11.8.1998 - 2 O 413/96 - im Kostenausspruch aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Schäden in Anspruch. Die Mutter der Klägerin befand sich während ihrer zweiten Schwangerschaft in der gynäkologischen Behandlung des Beklagten. Der Entbindungstermin war gerechnet von der letzten Regelblutung vor der Schwangerschaft auf den 22.7.1990 notiert worden. In der Nacht vom 11. auf den 12.6.1990 kam es vor Mitternacht zum Abgang von Fruchtwasser aus der Scheide. Die Mutter der Klägerin begab sich daraufhin in die geburtshilfliche Abteilung des Krankenhauses Hardheim. Der Beklagte ist dort Belegarzt. Die Aufnahmeuntersuchung erfolgte durch den bei dem Beklagten seit dem 17.4.1990 angestellten Arzt Dr. E. Dieser verstarb am 20.1.1996. Der geburtshilfliche Aufnahmebefund ergab keine Auffälligkeiten, der Zustand der Mutter der Klägerin und der Klägerin selbst war ohne Befund.

Am Morgen des 13.6.1990 begannen die Maßnahmen zur Einleitung der Geburt. Der Beklagte legte bei der morgendlichen Visite, die er in Begleitung des Dr. E. durchführte, ein Minprostin-Vaginalzäpfchen ein. Zugleich wurde eine CTG-Langzeit-Überwachung angeordnet, die mit geringen Unterbrechungen bis zur Geburt der Klägerin durchgeführt wurde. Die weitere geburtsärztliche Betreuung erfolgte dann durch Dr. E. Ab 11.00 Uhr dieses Tages wurde dann mit einer Tropfinfusion mit Wehenmittel (Orasthin) zur Geburtseinleitung begonnen. Nach ca. 7 Stunden wurde aufgrund der Erschöpfung der Mutter der Klägerin eine kurze Phase der Wehenhemmung zwischengeschaltet, um dann nach knapp zwei Stunden die medikamentöse Wehenanregung wieder aufzunehmen. Insgesamt erhielt die Mutter der Klägerin während ca. 9 Stunden Oxytocin als Infusion. Die CTG-Kontrollen ergaben während dieser Zeit keine Auffälligkeiten. Die Öffnung des Muttermundes erfolgte zögernd. Am Abend des 13.6.1990 entwickelte die Mutter der Klägerin eine erhöhte Körpertemperatur. Von 21.30 Uhr bis 24.00 Uhr stieg die Temperatur von 37,6 ° auf 38,5 ° Celsius. Am 14.6.1990 gegen 0.30 Uhr betrug sie 38,3 ° und um 1.00 Uhr 38,6 °. Zugleich ergab die kontinuierliche CTG-Registrierung ab 21.30 Uhr ein Anstieg der kindlichen Herztöne auf 160/min. Ab 0.30 Uhr stieg die Herzfrequenz weiter auf 180/min an. Dies war verbunden mit dem Auftreten von sporadischen, variablen Decelerationen (wehensynchrone Herztonabsenkungen). Ab ca. 2.15 Uhr traten gehäuft rhythmische wehensynchrone Herztonverlangsamungen im CTG auf und es kam akut zu einem Absinken der kindlichen Herzfrequenz auf 130/min. Auf das Ansteigen der Körpertemperatur der Mutter der Beklagten reagierte Dr. E. durch eine Kurz-Infusion mit einem Antibiotikum (Pipril). Um 2.00 Uhr beträgt die Muttermundsweite ca. 9 cm. Gegen 2.30 Uhr bzw. 2.45 Uhr ist der Muttermund vollständig eröffnet. Um 3.15 Uhr wird das Kind dann durch Dr. E. mit der geburtshilflichen Zange aus der Beckenmitte entwickelt. Das Gewicht der Klägerin betrug 2.300 Gramm, bei einer Länge von 46 cm und einem Kopfumfang von 32 cm. Unmittelbar nach der Geburt war das Kind rosig und atmete normal (APGAR-Werte 8/9/10). Eine Blutentnahme aus der Nabelschnur ergab unauffällige Werte. Auf Frage des Dr. E., bis zu welchem Gewicht die Neugeborenen in die Kinderklinik verlegt werden, antwortete die Hebamme, dass dieses bei einem Gewicht unter 2.500 Gramm der Fall sei. Eine entsprechende ärztliche Anordnung erfolgte jedoch nicht. Noch im Kreißsaal fiel der Hebamme dann nach Durchführung der Erstversorgung auf, dass die Klägerin erschwert atmete (gegen 3.25 Uhr). Die Hebamme teilte daraufhin Dr. E. mit...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge