Leitsatz (amtlich)
1. Auslegung und Anwendung von §§ 1, 46 EnWG, § 19 GWB, wonach es bei der Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG zulässig ist, dass die Gemeinde mit einem Auswahlkriterium "Preisgünstige Versorgung" ein Angebot umso besser zu bewertet, je niedriger die prognostizierten Netznutzungsentgelte und Netzanschlusskosten jeweils betreffend das kommunale Netzgebiet sind, widersprechen zweifelsfrei und offensichtlich nicht Art. 39 bis 41 der Richtlinie 2009/73/EG vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. L 211/94).
2. Im Übrigen verstieße die Gemeinde mit so gestalteten Auswahlkriterien selbst dann nicht gegen sie im Verhältnis zu Bewerbern treffende Pflichten, wenn diese Richtlinie (wenigstens in Verbindung mit dem Loyalitäts- und Effektivitätsgrundsatz) den Mitgliedsstaaten im Ergebnis untersagen würde, dies zuzulassen.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 22.11.2023; Aktenzeichen 14 O 62/23) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22. November 2023, Az. 14 O 62/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung fallen der Verfügungsklägerin zur Last.
Gründe
A. Die verfügungsbeklagte Gemeinde (fortan: Beklagte) führt ein Verfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG in ihrem Gemeindegebiet durch, an dem sich die Verfügungsklägerin (fortan: Klägerin) beteiligt. Dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung liegt eine Beanstandung der durch die Beklagte mitgeteilten Auswahlkriterien zugrunde.
Mit Datum vom 11. April 2023 übermittelte die Beklagte den interessierten Unternehmen, darunter der Klägerin, einen "1. Verfahrensbrief" (Anlage ASt 4) mit (insbesondere Auswahl-)"Kriterienkatalog" als Anlage 1 (Anlage ASt 5). Danach sind in der Bewertung nach den Auswahlkriterien insgesamt 1.000 Punkte erreichbar, von denen auf das Kriterium 2 "Preisgünstige Versorgung" 150 Punkte entfallen, davon auf das Unterkriterium 2.1 "Netznutzungsentgelte" 120 Punkte und auf das Unterkriterium 2.2 "Netzanschlusskosten" 30 Punkte (Kriterienkatalog, S. 5 f). Zum Unterkriterium 2.1 "Netznutzungsentgelte" erläutert der Kriterienkatalog (unter III., dort S. 13 ff) die geforderte Abgabe von Preisblättern mit (plausibel) für einen dort angegebenen Zeitraum prognostizierten Netznutzungsentgelten für das Konzessionsgebiet durch die Bieter für drei verschiedene Abnahmefälle als Unter-Unterkriterien 2.1.1 bis 2.1.3 (Haushalt, Mehrfamilienhaus, Gewerbe) unter bestimmten vorgegebenen Prämissen und deren beabsichtigte Bewertung durch die verfahrensleitende Stelle anhand der Summe der je Abnahmefall prognostizierten Netznutzungsentgelte. Zum Unterkriterium 2.2 "Netzanschlusskosten" erläutert der Kriterienkatalog (unter III., dort S. 17 f) die geforderte Einreichung von für denselben Zeitraum (plausibel) prognostizierten Netzanschlusskosten für Letztverbraucher im ausgeschriebenen Konzessionsgebiet betreffend einen vorgegebenen Standard-Netzanschluss durch die Bieter und deren beabsichtigte Bewertung durch die verfahrensleitende Stelle anhand dieser Prognosen. Zu beiden Unterkriterien ist jeweils bestimmt, dass der niedrigste angebotene Preis der beste Wert sein soll.
Die Klägerin rügte mit Schreiben vom 26. April 2023 (Anlage ASt 6) mehrere Verstöße gegen den Grundsatz eines diskriminierungsfreien und transparenten Vergabeverfahrens. Unter anderem machte sie dort (S. 64 ff) mit einer Rüge zu 2.33 geltend, das Kriterium 2. "Preisgünstige Versorgung" sei mit den Unter- und Unter-Unterkriterien intransparent, sachwidrig und diskriminierend sowie weder mit den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG noch mit dem höherrangigen Unionsrecht vereinbar. Sach- und Unionsrechtswidrig sei, dass die Gemeinde als Auswahlkriterien Netzentgelte und Netzanschlusskostenabfrage und damit auf diese maßgeblichen Kernbestandteile des regulatorischen Ziels der Preisgünstigkeit Einfluss nehme.
Die Beklagte hob mit einem "2. Verfahrensbrief" vom 3. Mai 2023 die Frist zur Angebotsabgabe auf und stellte das Verfahren ruhend. Mit Datum vom 13. Juli 2023 übermittelte die Beklagte der Klägerin wie allen Bietern einen "3. Verfahrensbrief" (Anlage ASt 8), in dem sie den Rügen der Klägerin nur teilweise abhalf und darauf hinwies, dass die Inhalte der hierzu gegebenen Erläuterungen und Präzisierungen bei der Angebotsauswertung ergänzend zu den Ausführungen im "1. Verfahrensbrief" herangezogen würden. Auf die Rüge 2.33 antwortete sie, dieser werde aus näher erläuterten Gründen nicht abgeholfen (S. 56 ff, insbesondere S. 58 f). Dem 3. Verfahrensbrief war als Anlage 1 eine konsolidierte Fassung des Kriterienkatalogs (Anlage ASt 9, fortan: konsolidierter Kriterienkatalog) beigefügt, welche die vorgenommenen Anpassungen berücksichtige. Darin sind die Änderungen gegenüber dem ursprü...