Entscheidungsstichwort (Thema)

Forderung. Schmerzensgeld als Nachlassforderung

 

Leitsatz (redaktionell)

Während der deliktische Schädiger Ersatz des materiellen Schadens gemäß § 823 Abs. 1 BGB nicht nur bei einer Verletzung des Körpers und der Gesundheit, sondern ebenso auch bei einer Verletzung des Lebens schuldet, ist er zum Ersatz des immateriellen Schadens nach § 847 Abs. 1 BGB nur bei Verletzung des Körpers und der Gesundheit und bei einer Freiheitsentziehung, nicht aber bei Verletzung des Lebens verpflichtet. Das bedeutet, dass der Eintritt des Todes als solcher keinen Anspruch auf Schmerzensgeld zu begründen vermag.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 847, 1922

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Urteil vom 15.04.1997; Aktenzeichen 6 O 75/97)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 15. April 1997 – 6 O 75/97 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.600 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Sicherheit kann durch unbedingte, unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland als Zoll- oder Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

4. Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 60.001 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht als Alleinerbin ihres bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Ehemannes Schmerzensgeld geltend. Die Beklagten haben für die Unfallfolgen in vollem Umfang einzustehen.

Am 17.06.1996 gegen 23.40 Uhr fuhr die Beklagte Ziffer 2 auf der Bundesautobahn Heilbronn Richtung Mannheim mit ihrem PKW, Marke Audi (amtliches Kennzeichen …) der bei der Beklagten Ziffer 1 haftpflichtversichert ist, auf einen vorausfahrenden PKW Marke Ford Fiesta (amtliches Kennzeichen …) aus einer Geschwindigkeit von etwa 150 km/h bei zulässigen 120 km/h auf. Der Ford Fiesta, in dem der Ehemann der Klägerin Beifahrer war, geriet infolge des Aufpralls gegen die rechte Leitplanke, kam quer zur Fahrtrichtung auf dem Seitenstreifen zum Stehen, fing Feuer und brannte aus, ohne daß die Insassen gerettet werden konnten. Etwa zehn Minuten vergingen, bis der Tod der Insassen eintrat. Im Berufungsverfahren ist außer Streit, daß der Ehemann der Klägerin durch die Unfallverletzungen das Bewußtsein verloren und bis zum Eintritt des Todes nicht wiedererlangt hat.

Die Beklagte Ziffer 1 hat vorprozessual 3.000 DM an die Klägerin als Schmerzensgeld bezahlt.

Die Klägerin ist der Ansicht gewesen: Ihr stehe ein weiteres, 60.000 DM übersteigendes Schmerzensgeld zu. Der Wegfall der Persönlichkeit des Menschen müsse eigenständig bewertet werden und zu einem entsprechend hohen Ausgleich in Geld führen. Dies folge aus der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Fällen, in denen der weitgehende Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit zu einer Zerstörung der Persönlichkeit geführt habe; die neuere Rechtsprechung sei davon abgegangen, das Schmerzensgeld nur noch auf eine symbolhafte Entschädigung zu reduzieren, sondern verlange eine eigenständige Bewertung des immateriellen Ausgleichs.

Die seit Inkrafttreten des BGB gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen müßten sich auch in einem neuen Verständnis des § 847 BGB niederschlagen. Auch der Gesetzgeber habe ihnen Rechnung getragen, indem er § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB gestrichen und damit den Schmerzensgeldanspruch übertragbar und vererblich gemacht habe. Das Begehren der Erben, den „Todesschmerz” abgegolten zu sehen, werde heute nicht mehr als anstößig empfunden.

Bei der Auslegung des § 847 BGB seien auch die Wertungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen, wie sie in Art. 1 und 2 GG zum Ausdruck gekommen seien; diese müßten zu einer eigenständigen Bewertung auch des Todes als Folge einer Verletzung führen.

Auch die Einführung der Pflicht-Haftpflichtversicherung – vorliegend unstreitig mit einer Deckungssumme bei Personenschäden von 7,5 Mio. DM je Schadensfall – müsse sich auf die Höhe der Entschädigung im Todesfall auswirken.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 60.001 DM nebst 4 % Zins hieraus seit dem 07.06.1996 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten haben die Meinung vertreten: Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit lasse sich auf einen Fall wie den vorliegenden nicht übertragen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird verwiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie wiederholt ihre erstinstanzliche Argumentation und führt noch aus: Es gehe darum, dem Gedanken der Menschenwürde und freien Entfaltung der Persönlichkeit im Zivilrecht zum Durchbruch zu verhelfen. D...

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