Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtshaftung eines Zentrums für Psychiatrie nach rechtswidriger Unterbringung
Leitsatz (amtlich)
1. Den Ärzten eines öffentlich-rechtlich organisierten Zentrums für Psychiatrie obliegt die Amtspflicht, bei der Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen, die eine Unterbringung rechtfertigen sollen, Fehler in der Diagnose und Fehler in der Gefährdungsprognose zu vermeiden.
2. Die Bejahung von Fremdgefährdung oder von Eigengefährdung in einem ärztlichen Zeugnis setzt voraus, dass konkrete Anknüpfungstatsachen die Gefährdungsprognose des Arztes rechtfertigen.
3. Der Umstand, dass das Vormundschaftsgericht auf der Grundlage der unzulänglichen ärztlichen Zeugnisse eine Unterbringung des Betroffenen nicht hätte anordnen dürfen, hindert die Amtshaftung des Zentrums für Psychiatrie für die Fehler der verantwortlichen Ärzte nicht.
4. Bei einer rechtswidrigen Unterbringung von zwei Monaten in einem psychiatrischen Krankenhaus, die mit einer Zwangsmedikation verbundenen ist, kann ein Schmerzensgeld von 25.000 EUR in Betracht kommen.
Normenkette
GG Art. 34 S. 1; BGB § 253 Abs. 2, § 839 Abs. 1; UBG BW § 1 Abs. 4, §§ 3, 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 15.04.2011; Aktenzeichen 3 O 336/10 B) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Konstanz vom 15.04.2011 - 3 O 336/10 B - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 23.200 EUR seit dem 11.08.2010 und aus weitere 1.800 EUR seit dem 16.09.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 4.103,13 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.08.2010.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 892,44 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.08.2010.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten, die durch die Einholung des Gutachtens nebst mündlicher Erläuterung des Sachverständigen Professor Dr. F. entstanden sind. Im Übrigen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
IV. Die Kosten des Verfahrens vor dem LG werden gegeneinander aufgehoben.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können eine Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger wurde am 15.06.2007 von Polizeibeamten festgenommen und in Handschellen in eine psychiatrische Klinik verbracht, die als Einrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Ziff. 1 Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg anerkannt ist. Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, ist Trägerin dieser Klinik. In der Klinik erstellte der für die Beklagte tätige Arzt Dr. X einen "Aufnahmebefund" mit der Diagnose "Psychose mit Verfolgungswahn" (Anlage K 1). Dr. X war der Auffassung, der Kläger sei unterbringungsbedürftig im Sinne von § 1 Abs. 4 UBG Baden-Württemberg (im Folgenden abgekürzt: UBG). Da Dr. X außerdem der Auffassung war, es sei eine sofortige Unterbringung im Sinne von § 4 Abs. 1 UBG erforderlich, verblieb der Kläger zwangsweise in der psychiatrischen Klinik der Beklagten.
Noch am selben Tag richteten Dr. X und ein weiterer Arzt der Beklagten, Dr. Y, einen "Antrag auf Unterbringung nach dem UBG Baden-Württemberg" an das AG Konstanz. Der Antrag (Anlage K 2) war mit einem "ärztlichen Zeugnis" versehen, in dem es unter anderem heißt:
"Bei Herrn M. besteht eine psychiatrische Erkrankung. Der Pat. berichtet über Verfolgungswahn... Eine Fremd- und Eigengefährdung sind bei wahnhafter Verkennung mit psychotischen Inhalten möglich..."
Mit Beschluss vom 18.06.2007 (Anlage K 3) ordnete das AG Konstanz - Vormundschaftsgericht - die Unterbringung des Klägers in der psychiatrischen Einrichtung der Beklagten nach § 70h FGG i.V.m. dem Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg "vorerst bis längstens 13.07.2007" an. Das Gericht ordnete die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach einer Anhörung des Klägers beschloss das AG Konstanz - Vormundschaftsgericht - am 20.06.2007 (Anlage K 6), die vorläufige Unterbringung aufrechtzuerhalten.
Mit Schreiben vom 13.07.2007 beantragten die Ärzte der Beklagten Dr. Z und Dr. Y, die Unterbringung zu verlängern. Auch dieser Antrag war mit einem ärztlichen Zeugnis verbunden (Anlage K 8). Das AG Konstanz - Vormundschaftsgericht - entsprach dem Antrag mit Beschluss vom 13.07.2007 und verlängerte die Unterbringung "vorerst bis längstens 10.08.200...