Leitsatz (amtlich)

1. Die von der Rechtsprechung zur gesetzlichen Vertretung bei der Prozessführung (§ 51 ZPO) entwickelten Grundsätze kommen auch dann zur Anwendung, wenn die wirksame Vertretung einer Aktiengesellschaft durch einen von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreter (§ 147 AktG) in Streit steht.

2. Der Geltendmachungsbeschluss nach § 147 AktG muss die zu verfolgenden Ansprüche konkretisieren. Es ist insoweit nicht Aufgabe des besonderen Vertreters, die Voraussetzungen nur möglicher, allein nach der Anspruchsgrundlage bezeichneter Ersatzansprüche erst festzustellen. Hierfür sieht das Gesetz die Sonderprüfung vor.

3. Die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen Aktionäre (allein) wegen zu Unrecht ausbezahlter Dividenden, insbesondere aus § 62 AktG, kann die Hauptversammlung nicht nach § 147 AktG beschließen. Ein gleichwohl gefasster Beschluss ist in diesem Punkt nichtig (§ 241 Nr. 3 AktG).

4. Bei der Anwendung von § 139 BGB auf teilweise nichtige Geltendmachungsbeschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ist für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens der Hauptversammlung zu berücksichtigen, ob ein ursprünglich bestehendes Stimmverbot bei einer gedachten Abstimmung nur über die nicht unmittelbar fehlerbehafteten Teile entfiele.

5. Ein wegen zu Unrecht ausbezahlter Dividenden in Anspruch genommener (Mehrheits-)Aktionär ist von der isolierten Abstimmung über deswegen geltend zu machende Ansprüche gegen Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats nicht ausgeschlossen, wenn die anspruchsbegründenden Pflichtverletzungen verschiedener Natur sind.

6. Ist der Beschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters nichtig, so ist eine von diesem im Namen der Gesellschaft erhobene Klage aus prozessualen Gründen abzuweisen, wenn nicht die originär zuständigen Organe das Verfahren aufnehmen und die Prozessführung des besonderen Vertreters genehmigen.

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 21.03.2017, Az. 11 O 11/16 KfH, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Heidelberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin macht, vertreten durch einen von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreter (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG), gegen die Beklagten Ersatzansprüche im Zusammenhang mit der Auszahlung von Dividenden geltend. Die Parteien streiten unter anderem über die Befugnis des besonderen Vertreters, die Klägerin für die Geltendmachung dieser Ansprüche zu vertreten.

Die Klägerin ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Gelatine, Gelatine-Erzeugnissen und anderen chemischen Produkten befasst. Ihr Grundkapital ist eingeteilt in vinkulierte Namensaktien, die sich in Familienbesitz befinden.

Der Beklagte zu 1) ist seit 1996 Aktionär der Klägerin und seit 2004 Kommanditist der R. GmbH & Co. KG. Bis 2013 war er ferner alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Komplementärin.

Bei Bestellung des besonderen Vertreters im Oktober 2015 besaß der Beklagte zu 1) rund 52,2 % der Aktien der Klägerin. Ein zweiter Familienstamm, zu dem der Onkel des Beklagten zu 1) K. und dessen Tochter, die Aktionärin O. gehören, hielt zu diesem Zeitpunkt rund 32,3 % der Aktien und ein dritter Familienstamm rund 12,5 %. Letzterem gehört der Beklagte zu 2) an, welcher seit 2006 Aktionär der Klägerin ist und überdies im Juli 2011 ein Gewerbe zum An- und Verkauf von Fahrzeugen angemeldet hat. Die restlichen rund 3 % der Aktien befanden sich in den Händen weiterer Familienmitglieder.

Der Beklagte zu 3) ist seit Januar 2010 und der Beklagte zu 4) seit dem Jahr 2002 Mitglied des Vorstands der Klägerin. Die Beklagten zu 5) bis 8) sind Mitglieder ihres Aufsichtsrats, aus dem der Beklagte zu 8) im Jahr 2014 ausgeschieden ist. Die Beklagte zu 6) ist zudem die Mutter des Beklagten zu 1).

Zwischen den Mitgliedern der drei Familienstämme besteht ein "Schutzgemeinschaftsvertrag" (Anlage HM 19, im Folgenden: SGV), der eine einheitliche Rechtsausübung aus den Beteiligungen der Mitglieder an den Familienunternehmen sichern soll (§ 1 Nr. 2 SGV). Gemäß § 5 Nr. 2 SGV ist jedes Mitglied der Schutzgemeinschaft verpflichtet, sein Stimmrecht in den Gesellschafterversammlungen der Vertragsunternehmen so auszuüben, wie dies in den jeweils zuvor abzuhaltenden Mitgliederversammlungen der Schutzgemeinschaft mit einfacher Mehrheit beschlossen worden ist.

Der Beklagte zu 1) teilte der Klägerin im September 2011 schriftlich mit, dass ihm seit dem 02.05.2006 mehr als der vierte Teil...

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