Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. In der Krankentagegeldversicherung trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass er an konkreten, genau zu bestimmenden, Tagen (bzw. in konkreten Zeiträumen) arbeitsunfähig war. Es ist eine volle Überzeugungsbildung des Gerichts i.S.v. § 286 ZPO erforderlich; Wahrscheinlichkeits- oder Plausibilitätsüberlegungen reichen auch dann nicht aus, wenn retrospektive Feststellungen für einen Sachverständigen im Prozess - mehrere Jahre nach dem fraglichen Zeitraum - schwierig sind.
2. Bei chronischen Erkrankungen mit wechselhaftem Verlauf, wie z.B. bei einer schwerwiegenden Schmerzerkrankung, kann es im Nachhinein schwierig sein, zu unterscheiden, in welchen Zeiträumen eine vollständige Arbeitsunfähigkeit vorlag, und in welchen Zeiträumen lediglich gewisse Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit vorhanden waren. Auch in diesen Fällen müssen die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit eindeutig festgestellt werden; es reicht nicht aus, lediglich eine Mindestzahl von Tagen - ohne Festlegung der Daten - anzugeben, an denen der Versicherungsnehmer während eines Jahres arbeitsunfähig gewesen sein muss.
3. Maßgeblich für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist die Frage, ob und inwieweit der Versicherungsnehmer in der Lage ist, die zu seinem Berufsbild gehörenden Tätigkeiten auszuüben. Auf die Frage, ob der Versicherungsnehmer - im Hinblick auf gesundheitliche Einschränkungen - noch in der Lage war, über einen längeren Zeitraum ausreichende Einkünfte zu erzielen, kommt es hingegen nicht an.
Normenkette
ZPO § 286; MB/KT 94 § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 27.08.2010; Aktenzeichen 3 O 303/05) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Offenburg vom 27.8.2010 - 3 O 303/05 - in der Hauptsache wie folgt abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Kläger, Versicherungsschein-Nr ... nicht durch Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 ein Krankentagegeld i.H.v. insgesamt 3.800 EUR zu bezahlen, nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2009.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können eine Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 Prozent des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung geltend.
Der Kläger schloss im Jahr 1990 bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung ab (vgl. den Versicherungsschein Anlage K 1). Das von der Beklagten zugesagte Krankentagegeld wurde im Jahr 2003 durch eine ergänzende Vereinbarung auf 100 EUR pro Tag erhöht. Dabei wurde gleichzeitig eine Geltung der Musterbedingungen 1994 für die Krankentagegeldversicherung - Fassung 01.2002 - (MB/KT 94) vereinbart (vgl. die Bedingungen II 115 ff.).
Der Kläger ist von Beruf selbständiger Bautechniker. Sein Aufgabengebiet betrifft überwiegend die Bauleitung und Bauüberwachung i.S.v. § 45 LBO Baden-Württemberg. Die konkrete Ausgestaltung der Berufstätigkeit des Klägers ergibt sich im Einzelnen aus der - unstreitigen - Darstellung des Klägervertreters im Schriftsatz vom 2.11.2005 (I 67 ff.).
Der Kläger war unstreitig in der Zeit vom 4.7.2003 bis zum 21.11.2004 erkrankt, und aufgrund dieser Erkrankung arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete für diesen Zeitraum das vereinbarte Krankentagegeld. Für die Zeit nach dem 21.11.2004 lehnte die Beklagte weitere Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung ab.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem LG Krankentagegeld i.H.v. insgesamt 39.000 EUR für die Zeit vom 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 verlangt. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit den entsprechenden Zahlungen in Verzug befinde. Des Weiteren solle festgestellt werden, dass der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien nicht durch Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet ist. Der Kläger hat geltend gemacht, er leide seit 1992 an verschiedenen Krankheiten, insbesondere an Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die dadurch verursachten Schmerzen seien so erheblich gewesen, dass er im klagegegenständlichen Zeitraum nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinen Beruf auszuüben. Eine Berufsunfähigkeit sei bisher nicht eingetreten, da die krankheitsbedingten Beschwerden grundsätzlich als vorübergehender Zustand anzusehen seien.
Die Beklagte hat eingewandt, sie sei zu weiteren Krankentagegeldleistungen nach den maßgeblichen Versicherungsbedin...