Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen und Höhe des Handelsvertreterausgleichs
Leitsatz (amtlich)
1. Weigert sich der Unternehmer grundlos, dem Handelsvertreter einen Buchauszug zu erteilen, kommt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung des Vertrages durch den Handelsvertreter in Betracht.
2. Für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b Abs. 1 BGB sind nur die vom Handelsvertreter geworbenen Kunden zu berücksichtigen. Fällt das erste Geschäft des Unternehmers mit einem bestimmten Kunden in die Vertragszeit des Handelsvertreters, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Tätigkeit des Handelsvertreters für die Werbung dieses Kunden mitursächlich war.
3. Für einen Billigkeitsabschlag (§ 89 b Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 HGB) können zum einen die Sogwirkung einer Marke und zum anderen Umsatzverluste des Unternehmers durch eine Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters nach Ende des Vertrages eine Rolle spielen.
Normenkette
HGB § 89b
Verfahrensgang
LG Konstanz (Aktenzeichen 8 O 9/09 KfH) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18.10.2013 - 8 O 9/09 KfH - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Provisionen in Höhe von 128.951,87 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.02.2009 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin einen Handelsvertreterausgleich in Höhe von 226.267,03 EUR zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % für die Zeit vom 19.11.2008 bis zum 26.02.2009, und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 27.02.2009.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 75.092,79 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.02.2009.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Klägerin zu 1/10 und die Beklagte zu 9/10.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin ist Handelsvertreterin für Industrieprodukte. Die Beklagte stellt elektronische Komponenten für Nachrichten- und Satellitentechnik her. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Handelsvertretervertrag geltend.
Am 01.04.1993 schlossen W. K. und die S. GmbH einen Handelsvertretervertrag (Anlage K 1). Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin von W. K.; die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der S. GmbH.
Gemäß § 2 Absatz 1 des Vertrages wurde der Handelsvertreter zum "Bezirksvertreter" für ein bestimmtes Gebiet in Norddeutschland bestellt, welches durch die entsprechenden Postleitzahlen konkretisiert wurde. Für die Provisionsansprüche des Handelsvertreters war in § 6 Absatz 1 Folgendes geregelt:
Der HV hat Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Vermittlungstätigkeit mit den in seinem Vertretungsgebiet ihm zugeteilten dort ansässigen Kunden zustande gekommen sind. Der Provisionsanspruch besteht auch für von S. direkt ohne Mitwirkung des Handelsvertreters mit Kunden in seinem Vertretungsgebiet abgeschlossenen Geschäfte; ausgenommen hiervon sind jedoch solche mit OEM-Kunden.
Als im Vertretungsgebiet ansässig gelten diejenigen Kunden, die dort ihren gewerblichen Sitz oder Filialen haben, welche die Bestellung unmittelbar gegenüber S. vornehmen oder an die bei Bestellung über eine zentrale Stelle die Auslieferung der Ware durch S. zumindest direkt an die Filiale erfolgt.
Die Provisionszahlungspflicht besteht auch für mit Dritten - ausgenommen OEM-Kunden - abgeschlossene Geschäfte, die der HV als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat. Gleiches gilt für von S. direkt gewonnene Kunden - außer OEM-Kunden -.
Die "OEM-Kunden" hatten die Parteien in § 2 Absatz 2 des Vertrages wie folgt definiert:
Unter diesen Kunden werden solche verstanden, die Produkte von S. zwar beziehen, die sie jedoch unter eigener Firma und/oder eigener Produktbezeichnung vertreiben oder installieren.
Als Vertragsbeginn war der 01.04.1993 vorgesehen. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren sollte die ordentliche Kündigungsfrist sechs Monate für den Schluss eines Kalendermonats betragen. Die Provision sollte 8 Prozent betragen; für einzelne Produkte wurde später eine...