Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verzicht auf Schnittstellenkontrollen in den Beförderungsbedingungen eines Paketdienstunternehmens verstößt gegen § 449 Abs. 2 HGB und ist daher unwirksam.
2. Eine Vertragsabwehrklausel ("Beförderungsausschluss") in den Beförderungsbedingungen eines Paketdienstunternehmens steht dem Zustandekommen eines Transportvertrages nicht entgegen.
3. Gerät ein Paket während des Transports in Verlust, so kann der Nachweis für den Inhalt des Pakets im Wege des Anscheinsbeweises auch allein durch eine Rechnung des Absenders (ohne Lieferschein) geführt werden, wenn feststeht, dass die Rechnung vor der Übergabe des Pakets an den Transportunternehmer ausgestellt wurde.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 27.08.2004; Aktenzeichen 15 O 136/03 KfH IV) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 27.8.2004 - 15 O 136/03 KfH IV - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 74.846,71 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.7.2003 zu zahlen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110.000 EUR, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen mit folgenden Ergänzungen: Die beiden im Urteil des LG genannten Vereinbarungen (Anlagen LG B 3 und B 5) wurden am 28.6.2005 abgeschlossen (vgl. I 113, 115). Am 16.11.2004 - nach Abschluss der ersten Instanz - haben die Beklagte und die Versicherungsnehmerin der Klägerin, die Firma ... (im Folgenden abgekürzt: VN), eine weitere Vereinbarung abgeschlossen über den Transport von Schmuckwaren der VN durch die Beklagte (Anlage B 9, II 143, 145). Die Vereinbarung enthält u.a. auch Regelungen zu Haftungsfragen und soll nach ihrem Text auch Rückwirkung für "vor dem Abschluss dieser Vereinbarung entstandene Schäden" besitzen.
Das LG hat die Beklagte zur Zahlung von 37.423,38 EUR (die Hälfte der Klageforderung) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.7.2003 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, die Beklagte sei für den Verlust der 15 streitgegenständlichen Pakete verantwortlich. Die Beklagte treffe ein qualifiziertes Verschulden. Weder aus den Beförderungsbedingungen der Beklagten noch aus den weiteren Vereinbarungen vom 28.6.2002 (Anlagen LG B 3 und B 5) ergebe sich ein wirksamer Haftungsausschluss oder eine wirksame Haftungsbegrenzung. Ein vertraglicher Haftungsausschluss sei aus Rechtsgründen unwirksam, selbst wenn die Parteien insoweit - was das LG offen gelassen hat - eine Individualvereinbarung getroffen haben sollten.
Die Beklagte habe die in Verlust geratenen Pakete übernommen. Bezüglich des Paketes im Fall 13 (vgl. den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils) ergebe sich dies aus den vom Zeugen vorgelegten Unterlagen (I 235 ff.) i.V.m. den Erläuterungen des Zeugen hierzu. Der Inhalt der Pakete und der Wert der Sendungen stehe fest aufgrund der vorgelegten Rechnungen im Zusammenhang mit den Angaben des Zeugen.
Das LG hat der Klägerin allerdings nur die Hälfte der geltend gemachten Schadensersatzansprüche zuerkannt, da die Ersatzpflicht der Beklagten wegen Mitverschuldens der VN entsprechend gemindert sei. Der VN sei vorzuwerfen, dass sie bei den Sendungen den Wert der Schmuckwaren nicht angegeben habe. Wenn die VN ihre Informationspflicht ggü. der Beklagten erfüllt hätte, wäre es zu einer Verringerung des Verlustrisikos gekommen. Die VN habe der Beklagten durch den unterlassenen Hinweis auf den jeweiligen Wert der Schmucksendungen die Möglichkeit genommen, den Transport zu verweigern oder die Sendungen als Wertpakete - mit gesteigerten Sicherheitsmaßnahmen - zu behandeln.
Gegen das Urteil des LG haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des LG, die VN treffe ein Mitverschulden. Es habe für die VN keine Notwendigkeit gegeben, die Beklagte über den Wert der Pakete zu informieren, da die Beklagte gewusst habe, dass die Pakete Schmuckwaren enthielten, deren Wert in der Regel weit über der von der Beklagten genannten Grenze von 500 US-$ gelegen habe. Die Klägerin bestreitet unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag weiterhin die Behauptungen der Beklagten zu zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen beim Transport von sog. Wertpaketen. Im Übrigen sei für die VN auch nicht erkennbar gewesen, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Sendungen bei einer Aufgabe als "Wertpaket" tatsächlich mit erheblichen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen - zur Verringerung des Verlustrisikos - transportiert hätte.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Karlsruhe vom 27.8.2004 (LG Karlsruh...