Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährungshemmende Stundung des Pflichtteils
Leitsatz (amtlich)
1. Bittet die Erbin die pflichtteilsberechtigte Enkelin der Erblasserin, den Pflichtteil vorläufig nicht geltend zu machen, da die Erbin ansonsten ihre Eigentumswohnung veräußern müsse, kann darin ein Stundungsersuchen liegen. Verhält sich die pflichtteilsberechtigte Enkelin entsprechend dieser Bitte, liegt eine - verjährungshemmende - konkludente Stundungsvereinbarung nahe.
2. Die Stundung des Pflichtteils umfasst im Zweifel auch die Stundung des mit dem Pflichtteil verbundenen Auskunftsanspruchs.
Normenkette
BGB §§ 205, 260 Abs. 1, § 2314 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 07.11.2014; Aktenzeichen 5 O 166/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Freiburg vom 07.11.2014 - 5 O 166/14 - aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über den Nachlass der am 08.02.2001 verstorbenen Frau L. H., geb. F., durch Vorlage einer nach Aktiva und Passiva gegliederten Aufstellung des Vermögens der Erblasserin zum Todestag, und über alle der Beklagten bekannten unentgeltlichen Zuwendungen der Erblasserin, bezüglich derer zum Todestag noch nicht zehn Jahre seit der Leistung des zugewandten Gegenstandes verstrichen waren.
3. Das Verfahren wird zur Verhandlung und Entscheidung über die weiteren Anträge der Klägerin zurückverwiesen an das LG Freiburg.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage Pflichtteilsansprüche nach dem Tod der am 08.02.2001 verstorbenen L. H. (Erblasserin) geltend.
Die Erblasserin war zum Zeitpunkt ihres Todes verwitwet. Sie hatte zwei Kinder, den Vater der Klägerin und die Beklagte. Der Vater der Klägerin war bereits im Jahr 1993 vorverstorben. Er hatte außer der Klägerin keine weiteren Kinder. Die Beklagte wurde auf Grund einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 18.07.1992 Alleinerbin.
Die Klägerin erfuhr bereits kurz nach dem Tod ihrer Großmutter, dass weder ihr Vater noch sie selbst als Erben eingesetzt waren. Bei einem Treffen mit der Beklagten, welches noch im Jahr 2001 stattfand, sprach sie die Beklagte auf den ihr wegen der Enterbung zustehenden Pflichtteilsanspruch an. Die Beklagte bat die Klägerin, diesen Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen. Denn sie befürchtete, die von ihr selbst bewohnte Wohnung in der R. straße in F. nicht halten zu können, wenn sie zur Auszahlung des Anspruchs gezwungen wäre. Gleichzeitig äußerte die Beklagte, die Klägerin werde nach dem Tod der Beklagten ihrerseits Erbin der Beklagten. Auf diese Weise komme der Klägerin beim Tod der Beklagten nicht nur der Pflichtteil, sondern das gesamte Erbe der Erblasserin zu Gute. Die Klägerin machte daraufhin zunächst keinen Pflichtteilsanspruch gegen die Beklagte geltend.
Am 01.01.2008 richtete die Beklagte ein handschriftliches Schreiben an die Klägerin mit folgendem Inhalt:
"Liebe S., um den unverständlichen Aberglaube aus der Welt zu schaffen, der mich tief getroffen hat, bescheinige ich Dir hiermit nochmals unser Gespräch auf der L. und beim Notar bezüglich des Todes von Omi.
Du bist und bleibst nach wie vor meine Alleinerbin, zumal ja der Pflichtteil Deines Vaters in diesem Erbe verankert ist.
Dir gehören die Eigentumswohnung, Wertpapiere, Bausparvertrag, den ich übrigens nach wie vor mit EUR 100,- monatlich für Dich aufrecht erhalte. (...). Dort bis Du auch als Begünstigte eingetragen.
Ebenso Mobiliar, Schmuck usw.
Mit all diesen Angaben liegt ein Testament beim Notar vor.
Freiburg 1. Neujahrstag 2008
Anita"
Im Jahr 2014 entstanden bei der Klägerin Unsicherheiten, ob die Beklagte sie tatsächlich zur Alleinerbin eingesetzt hatte, bzw. ob sie eine solche Erbeinsetzung aufrechterhalten wollte. Mit Schreiben vom 28.04.2014 (Anlage K1) forderte die Klägerin daher die Beklagte auf, zu erklären, ob sie Einwände gegen den Pflichtteilsanspruch der Klägerin nach dem Tod der Erblasserin habe. Außerdem forderte sie die Beklagte auf, eine Aufstellung über die Nachlasswerte der im Jahr 2001 verstorbenen Erblasserin zu übersenden. Die Beklagte reagierte darauf mit einem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.05.2014, mit welchem sie einen Pflichtteilsanspruch der Klägerin wegen Verjährung zurück wies. Für den Verjährungseintritt spiele es keine Rolle, ob die Klägerin in der Erwartung gelebt habe, eines Tages Erbin ihrer Tante, der Beklagten, zu werden.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.06.2014 hat die Klägerin Stufenklage zum LG Freiburg erhoben. Sie hat Auskunft über den Nachlass und über unentgeltliche Zuwendungen zu Lebzeiten ihrer im Jahr 2001 verstorbenen Großmutter verlangt, und für den Fall, dass diese Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt wird, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, sowie - noch unbeziffert - Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenden Betrages, den die Beklagte als Pflichtteil nach dem Tod der Erblasserin...