Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für presserechtlichen Unterlassungsanspruch.
2. Die in einer Presseveröffentlichung enthaltene Aussage, jemand habe „die Kassen betrogen”, stellt dann eine Tatsachenbehauptung dar, wenn der Vorwurf im Kontext durch Mitteilung der Vorgehensweise konkretisiert wird. Sie ist unwahr, solange es nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Betrugs gekommen ist. Bei Veröffentlichungen in einem Anzeigenblatt reicht es zur Kennzeichnung, dass hinsichtlich einer apodiktisch behaupteten Straftat erst ein Verdacht besteht, nicht aus, dass im Kontext von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen die Rede ist.
3. Jedenfalls für Unterlassungs- und Widerrufsansprüche ist für die Qualifizierung einer Tatsachenbehauptung als wahr oder unwahr der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich. Hat sich der mitgeteilte Sachverhalt bis dahin zur Gänze verwirklicht, so werden diese Ansprüche gegenstandslos.
4. Berichte über strafprozessuale Maßnahmen dürfen nur dann in einer die Identität des Betroffenen preisgebenden Weise veröffentlicht werden, wenn an der Herausstellung der Person des Tatverdächtigen ein besonderes und das des Betroffenen überwiegendes Interesse besteht.
5. Besteht zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der dringende Verdacht, der Betroffene habe die ihm in einer Presseveröffentlichung zur Last gelegte Straftat begangen, so kann der Betroffene nicht Widerruf in vollem Umfang, sondern nur die Klarstellung verlangen, dass lediglich dringender Tatverdacht bestehe.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1-2, § 1004; StGB § 185 ff.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 1 O 347/00) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Freiburg vom 25.1.2001 – 1 O 347/00 – abgeändert:
a) Den Beklagten Nr. 1 und Nr. 2 wird verboten, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen oder aufstellen zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
Der Kläger habe die Krankenkassen betrogen.
b) Die Beklagte Nr. 1 wird verurteilt, die in Nr. 1a) genannte Behauptung dahingehend richtig zu stellen, dass die dem Kläger zugeschriebene Verhaltensweise nicht feststehe, sondern dass insoweit lediglich ein dringender Verdacht bestehe. Diese Richtigstellung hat in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe des Freiburger Wochenberichts auf der Titelseite zu erfolgen. Die Richtigstellung hat schlagwortartig in gleicher Schriftgröße wie die Überschrift der Erstmitteilung und im Übrigen in gleicher Aufmachung wie diese zu erfolgen.
c) Für jede Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen gem. Nr. 1a) wird den Beklagten Nr. 1 und Nr. 2 ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 255.000 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten angedroht.
d) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten beider Rechtszüge einschließlich der Kosten der Nebenintervention tragen der Kläger 90 % und die Beklagte Nr. 1 und der Beklagte Nr. 2 als Gesamtschuldner 10 %.
Die Streithelferin trägt die Kosten der Nebenintervention, soweit sie nicht vom Kläger zu tragen sind.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrag abwenden, wenn nicht die Beklagten und die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten können die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 2.500,00 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Pharmagroßhändler mit Wohnsitz auf der in der Irischen See gelegenen „Isle of Man”. Er ist Anteilseigner und Geschäftsführer eines deutschlandweit tätigen Unternehmens mit einem Büro in M. Auf dem Gelände des dortigen Schlosses hatte der Kläger bis Frühjahr 1998 seinen Wohnsitz, seine Kinder wohnen auch jetzt noch dort.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen einen Artikel, der in dem von der Beklagten Nr. 1 verlegten, mit einer Auflage von 117.500 Exemplaren in F. und unmittelbarer Umgebung – unter anderem auch in M. – einmal wöchentlich kostenlos verteilten Anzeigenblatt „F.W.” erschienen war. Verfasser des Artikels war der Beklagte Nr. 2, bei dem es sich um einen Mitarbeiter der dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite beigetretenen Nebenintervenientin handelt. Der Artikel war der Beklagten Nr. 1 aufgrund einer zwischen ihr und der Nebenintervenientin bestehenden vertraglichen Vereinbarung vorgelegt worden, wonach letztere als selbstständige Dienstleisterin für den F.W. alle redaktionellen Leistungen selbst oder unter Einsatz qualifizierter Mitarbeiter zu erbringen hat.
Der inkrimi...