Leitsatz (amtlich)

Der Risikoausschluss nach § 9 Ziff. 3a VGB 88 setzt eine Unbenutzbarkeit des gesamten versicherten Gebäudes wegen Umbauarbeiten voraus.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 15.08.2003; Aktenzeichen 11 O 195/02)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 15.8.2003 – 11 O 195/02 – im Kostenpunkt aufgehoben und i. Ü. wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.920 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 9.8.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 93 % und der Kläger 7 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Versicherungsleistungen wegen eines Leitungswasserschadens.

Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Vorder- und einem Hinterhaus bebauten Grundstücks in L. Er unterhält für dieses Objekt bei der Beklagten seit April 2001 eine verbundene Wohngebäudeversicherung, die u.a. das Risiko aus Leitungswasserschäden umfasst. Dem Vertrag liegen die VGB 88 – Fassung Juli 2000 zugrunde.

Das Vorderhaus ist sanierungsbedürftig und steht seit der Aufnahme von Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten, die im November 1998 abgebrochen und seither nicht wieder aufgenommen wurden, weitgehend leer. Teile des Erdgeschosses und der Kellerräume wurden jedoch von einer Mieterin des Klägers zur Lagerung von Baustoffen, Büro- und Wohnmöbeln sowie Elektrogeräten genutzt.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Januar/Februar 2002 platzten in den Abstellkammern zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Obergeschoss sowie dem ersten und dem zweiten Obergeschoss des Vorderhauses Wasserzähler, was den Austritt von Trinkwasser zur Folge hatte und zu einer starken Durchfeuchtung von Teilen des Treppenhauses und der Geschossdecken führte. Die Schäden wurden von der Mieterin des Klägers im März 2002 entdeckt.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 13.6.2002 (Anlage K 5) eine Schadensregulierung ab, weil der Kläger in grob fahrlässiger Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag verstoßen habe, das leerstehende Gebäude genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen absperren, zu entleeren und entleert zu halten. Sie beruft sich insoweit auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung und Gefahrerhöhung; zugleich kündigte sie den Versicherungsvertrag.

Das LG, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger jedenfalls seine Obliegenheiten gem. § 11 Ziff. 1c und d VGB 88 in grob fahrlässiger Weise verletzt habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.959,01 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 13.920 Euro ab 9.8.2002 sowie aus 1.039,01 Euro ab Zustellung der Klage vom 3.12.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Außerdem wird auf die Hinweisverfügung vom 4.12.2003 Bezug genommen.

II. Die Berufung ist zum überwiegenden Teil begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Versicherungsleistungen zu.

1. Die Beklagte ist nicht, wie sie in der dem Ablehnungsschreiben vom 13.6.2002 nachfolgenden Korrespondenz eingewendet hat, bereits gem. § 9 Abs. 3a VGB 88 leistungsfrei. Danach erstreckt sich der Versicherungsschutz gegen Leitungswasser ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen nicht auf Schäden an versicherten Sachen, solange das versicherte Gebäude noch nicht bezugsfertig oder wegen Umbauarbeiten für seinen Zweck nicht mehr benutzbar ist.

§ 9 Nr. 3a VGB 88 darf, da es sich um eine Risikoausschlussklausel handelt, nicht weiter ausgedehnt werden, als es der Sinn der Bestimmung unter Beachtung des wirtschaftlichen Ziels und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (BGH v. 19.2.2003 – IV ZR 318/02, MDR 2003, 744 = BGHReport 2003, 602 = VersR 2003, 454 unter II 1 m.w.N.).

Das streitgegenständliche Vorderhaus war bei Schadenseintritt im Januar/Februar 2002 nicht „noch nicht bezugsfertig” i.S.d. Klausel, da die Wendung ersichtlich auf den Erstbezug eines neu errichteten Gebäudes abstellt (OLG Hamm v. 1.7.1988 – 20 U 210/87, VersR 1989, 365 [366]; Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., Anmerkung F IV 18).

Auch die zweite Variante von § 9 Ziff. 3a VGB 88 ist bei der gebotenen engen Auslegung nicht einschlägig. Die Formulierung, wonach „das versicherte Gebäude” für seinen Zweck nicht mehr benutzbar ist, erfordert eine Unbenutzbarkeit des gesamten versicherten Gebäudes wegen Umbauarbeiten. D...

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