Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums eines Motorenherstellers (Motor EA 288) betreffend die Verwendung eines sog. Thermofensters zum Motorschutz, wenn das Fahrzeug vor Aufdeckung des sog. Dieselskandals von der Klagepartei erworben wurde sowie zu den schadensrechtlichen Auswirkungen eines existierenden, aber von der Klagepartei nicht aufgespielten Software-Updates, das die sog. Fahrkurvenerkennung folgenlos ausbedaten würde.
Leitsatz (amtlich)
1. Auch vor Aufdeckung des sog. Dieselskandals konnte sich ein Motorenhersteller, der ein nicht prüfstandsbezogenes sog. Thermofenster zum Motorschutz in der Motorsteuerungssoftware verwendet hatte, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses in einem die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6, 27 EG-FGV ausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum betreffend die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung befinden, weil die Mitarbeiter des Motorenherstellers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf eine jahrelange Praxis des Kraftfahrtbundesamtes vertrauen durften. Denn die im fraglichen Zeitraum von nahezu allen Herstellern von Dieselfahrzeugen verwendete Technologie war von der zuständigen Fachbehörde und dem zuständigen Fachministerium noch bis in die Jahre 2021 und 2022 aus Gründen des Motorschutzes für zulässig angesehen worden, und dies in Frage stellende Rechtsprechung existierte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht (Fortführung von OLG Karlsruhe, Urteile vom 12.12.2023 - 14 U 85/21, juris und vom 12.12.2023 - 14 U 268/22, juris).
2. Existiert ein Software-Update, das eine in der Motorsteuerung zum Einsatz kommende prüfstandsbezogene sog. Fahrkurvenerkennung folgenlos ausbedaten kann, und wird dadurch die Gefahr einer Betriebseinschränkung oder Betriebsuntersagung beseitigt, entfällt ein unterstellter Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6, 27 EG-FGV unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung und gemäß § 242 BGB unabhängig davon, ob der Geschädigte das Software-Update aufspielt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 23.10.2023 - VIa ZR 468/21, juris).
Normenkette
BGB §§ 242, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 13.12.2019; Aktenzeichen 1 O 351/18) |
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 13.12.2019, Az.: 1 O 351/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43.416,24 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.
Die Klagepartei erwarb am 22.09.2015 von einer nicht am Rechtsstreit beteiligten Fahrzeughändlerin einen VW Sharan 2.0 TDI SCR Blue Motion, 135 kW, zum Hauspreis von 51.665,33 EUR (brutto inklusive Überführungspauschale) mit einer Laufleistung von 0 km als Neuwagen. Am 24.11.2023 betrug der Kilometerstand 107.666 km.
Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 (Euro 6) ist das Nachfolgemodell des Motors Typ EA 189, der im Jahre 2015 den sogenannten "Diesel-Abgasskandal" auslöste, weil er mit einer Software ausgerüstet worden war, die erkannte, ob sich der Pkw im Prüfstand- oder im Realbetrieb befand und im Prüfstandbetrieb die Stickoxide in den ausgestoßenen Abgasen reduzierte ("Umschaltlogik"). Dies führte in der Folge zu verbindlichen Rückrufbescheiden durch das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wegen des (nach Auffassung des KBA) Vorliegens unzulässiger Abschalteinrichtungen.
Für das streitgegenständliche Fahrzeug hat das KBA keinen verbindlichen Rückrufbescheid erlassen. Gleiches gilt für sämtliche Fahrzeuge, die mit einem Motor des Typs EA 288 ausgestattet sind, mit Ausnahme einer vom KBA "überwachten Aktion" von bestimmten Fahrzeugen des Typs VW T 6 wegen einer "Konformitätsabweichung".
Der streitgegenständliche Motor enthält ein sog. Thermofenster, das heißt die Abgasrückführung findet in einem (streitigen) Temperaturbereich in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur statt.
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine prüfstandsbezogene Fahrkurvenerkennung hinterlegt, die zum einen bewirkt, dass während eines Testlaufs im sogenannten NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) - anders als außerhalb eines NEFZ - auch nach Erreichen einer Betriebstemperatur des SCR-Katalysators ("selective catalytic reduction; selektive katalytisc...