Leitsatz (amtlich)
1. Ein Entschädigungsprozess wegen überlanger Verfahrensdauer kann auch über ein Mahnbescheidsverfahren gem. § 692 ZPO eingeleitet werden. Der Mahnantrag wahrt die Frist aus § 198 Abs. 5 S. 2 GVG.
2. Soweit die Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer nach § 194 Abs. 4 GVG als Wiedergutmachung ausreicht, steht dem Kläger kein Entschädigungsanspruch zu. Eine bloße Feststellung reicht insbesondere dann aus, wenn der Kläger zur Verzögerung erheblich beigetragen hat oder die Überlänge des Verfahrens für diesen den einzigen Nachteil darstellt.
3. Eine Verfahrensdauer ist dann als unangemessen anzusehen, wenn die Ausschöpfung des richterlichen Ermessens- und Gestaltungsspielraums nicht mehr verständlich erscheint. Eine von einer vertretbaren Rechtsauffassung geprägte Verfahrensleitung führt auch dann nicht zu einem Entschädigungsanspruch, wenn durch eine andere Vorgehensweise des Richters das Verfahren weniger in die Länge gezogen worden wäre.
4. Denn im Amtshaftungsprozess wird die Verfahrensführung des Richters außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller richterlicher Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist.
5. Sind bereits im Verfahren mehrfach Verlegungs- und Befangenheitsanträge durch die Parteien erfolgt, kann das Gericht davon ausgehen, dass eine kurzfristige Terminsverlegung nicht sachdienlich ist. Terminiert das Gericht daraufhin auf einen späteren Zeitpunkt, ist darin keine Verzögerung durch das Gericht zu sehen.
6. Der Kläger hat für einen Entschädigungsanspruch die über die reine Verzögerung des Verfahrens hinausgehenden Nachteile entgegen des Wortlauts des § 198 Abs. 2 S. 1 GVG, welcher eine diesbezügliche Vermutungsregelung beinhaltet, darzulegen.
Tenor
1. Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer des Verfahrens 4 C 484/11 vor dem Amtsgericht Bruchsal wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahrens 4 C 484/11 des Amtsgerichts Bruchsal unangemessen verzögert ist.
3. Die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts Karlsruhe entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Streitwert wird auf EUR 500,00 festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Verfahrens vor dem Amtsgericht Bruchsal mit dem Aktenzeichen 4 C 484/11 (im Folgenden: Ausgangsverfahren). Gegenstand des Verfahrens war ein Auskunftsanspruch des Klägers gegen seine Schwester.
Die Klageschrift ist am 07.11.2011 beim Amtsgericht Bruchsal eingegangen. Das Verfahren wurde durch Urteil am 07.05.2019 abgeschlossen.
Der Verfahrensverlauf des Ausgangsverfahrens stellt sich wie folgt dar:
Am 07.11.2011 erhob der Kläger, ... T., Klage gegen seine Schwester, ... J., vor dem Amtsgericht Bruchsal (Blatt 1 der Akte).
Mit Verfügung vom 17.11.2011 hat das Amtsgericht Termin zur Güteverhandlung und für den Fall des Nichterscheinens einer Partei oder Erfolglosigkeit der Güteverhandlung frühen ersten Termin auf den 22.02.2012 bestimmt (Blatt 15 d.A.). Die Verfügung ist der Beklagten mit der Klageschrift am 19.11.2011 zugestellt worden (21).
Mit Verfügung vom 22.12.2011 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass die Beklagte die Prozessfähigkeit des Klägers substantiiert gerügt habe. Das Amtsgericht habe diesen Punkt entsprechend § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen. Dies wäre ggf. durch eine Sachverständigengutachten zu abzuklären. Den Parteien wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum 16.01.2012 gesetzt (Blatt 163 d.A.).
Am 06.02.2012 hat der Kläger die Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Blatt 181 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 07.02.2012 hat der Kläger angeregt zu prüfen und festzustellen, ob das Verfahren von Gesetzes wegen gemäß § 240 ZPO unterbrochen sei (As. 197). Dabei nahm er Bezug auf einen beigefügten Beschluss des Amtsgericht Lichtenberg vom 27.01.2012, 105 C 284/11, aus dem sich ergab, dass über den Nachlass der G., einer Schwester der Parteien, am 02.12.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war (As. 203).
Mit der Verfügung vom 08.02.2012 hat das Amtsgericht den Termin vom 22.02.2012 wegen des Ablehnungsantrags des Klägers aufgehoben (Blatt 207 d.A.).
Am selben Tag (08.02.2012) hat die Richterin am Amtsgericht Fuchs zum Ablehnungsgesuch Stellung genommen (Blatt 209 d.A.).
Mit Verfügung vom 09.02.2012 hat die Richterin die Übersendung der Akte an den Richter am Amtsgericht Nicklas zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und die Zustellung ihrer Stellungnahme an die Parteien veranlasst (Blatt 211 d.A.).
Auf eine Nachfrage des Klägers vom 11.02.2012 (Blatt 213 d.A.) hat die Richterin am Amtsgericht Fuchs am 17.02.2012 eine weitere dienstliche Stellungnahme abgegeben (Blatt 215 d.A.) und deren Übersendu...