Entscheidungsstichwort (Thema)
Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater: Maßgeblicher Zeitpunkt für das Nichtbestehen der sozial-familiären Beziehung
Leitsatz (amtlich)
Grundsätzlich kommt es im Rahmen der Anfechtungsklage nach § 1600 BGB für das Nichtbestehen der sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung an. Ausnahmsweise ist jedoch auf den Beginn des Anfechtungsverfahrens abzustellen, wenn erst durch die bewusste Verzögerung des Verfahrens um über ein Jahr die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater begründet und verfestigt worden ist, nachdem zuvor eine Vater-Kind-Beziehung zum biologischen Vater bestanden hat.
Normenkette
BGB § 1600 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Pforzheim (Urteil vom 04.04.2008; Aktenzeichen 1 F 389/06) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG - Familiengericht - Pforzheim vom 4.4.2008 (1 F 389/06) wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2 M. J. nicht der Vater des Beklagten zu 1 J. J. ist.
Es wird festgestellt, dass der Kläger S. H. der Vater des Beklagten zu 1 J. J. ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Vaterschaft für das Kind J. unter gleichzeitiger Anfechtung der vom Beklagten zu 2 anerkannten Vaterschaft.
Der Kläger und die Kindesmutter unterhielten im Sommer 2003 eine intime Beziehung. Das Kind J. wurde am 5.5.2004 nichtehelich geboren; der Kläger war nach seinen Angaben bei der Geburt des Kindes anwesend.
Die Mutter und der Beklagte haben am 1.12.2007 geheiratet. Aus ihrer Beziehung ist am 19.7.2007 das Kind L. hervorgegangen.
Nach der Geburt von J. hat die Mutter nach einem Schreiben des Kreisjugendamts des Landratsamts Enzkreis vom 29.7.2004 diesem ggü. den Kläger als Vater des Kindes angegeben. Der Kläger hatte zunächst regelmäßigen Umgang mit J. und zahlte sowohl Kindesunterhalt als auch Unterhalt für die Mutter. Dass die Mutter seiner Vaterschaftsanerkennung nicht zugestimmt hat, erfuhr der Kläger erstmals durch ein Schreiben des Kreisjugendamts vom 20.7.2006. Nachdem der Kläger beim AG Pforzheim im Juli 2006 ein Sorgerechtsverfahren (1 F 310/06) eingeleitet und später eine Regelung des Umgangs (1 F 391/06) begehrt hatte, hat die Mutter hierzu ausgeführt, die Tatsache, dass sie die Vaterschaftsanerkennungsurkunde nicht gegengezeichnet habe, besage nichts, was maßgeblich sei, sei dass der Vater die Vaterschaft anerkannt habe. Im Verhandlungstermin vor dem AG am 6.9.2006 (Verfahren 1 F 310/06) hat die Mutter sodann erklärt, sich nicht hundertprozentig sicher zu sein, ob J. vom Kläger abstamme. Zugleich hat sie ihr Einverständnis zur Einholung eines Abstammungsgutachtens erteilt. Am darauffolgenden Tag hat der Beklagte zu 2 die Vaterschaft für J. anerkannt.
In dem vom Kläger im September 2006 eingeleiteten vorliegenden Anfechtungs- und Vaterschaftsfeststellungsverfahren hat das AG mit Beschluss vom 6.9.2006 die Einholung eines medizinischen Abstammungsgutachtens angeordnet. Zu der von der Mutter im Termin vom 6.9.2006 noch befürworteten Untersuchung kam es in der Folgezeit nicht. Einer Aufforderung, sich zur Blutentnahme in der Kinderklinik P. einzufinden, ist die Mutter mit J. nicht nachgekommen. Unter dem 22.11.2006 hat sie vortragen lassen, inzwischen zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass der Beklagte M. Ja. Vater des Kindes sei. Sie weigere sich daher strikt, die erforderliche Blutprobe bei sich und dem Kind zu dulden. Zu dem auf den 23.2.2007 bestimmten Fortsetzungstermin ist die Kindesmutter nicht erschienen. Unter dem 18.4.2007 hat der Kläger das Ergebnis eines privaten DNA-Gutachtens in dem Bewusstsein, dass dieses nicht als Beweismittel vor Gericht anerkannt werde, mitgeteilt (Wahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft 99,9997930600 %). Die auf 19.4.2007 und 3.5.2007 bestimmten Fortsetzungstermine wurden vom Beklagten nicht wahrgenommen. Das AG hat daraufhin das Kreisjugendamt um einen Bericht darüber gebeten, ob zwischen ihm und J. eine sozial-familiäre Beziehung bestehe. Bei zwei angekündigten Hausbesuchen des Jugendamts wurde diesem von der Mutter und dem Beklagten zu 2 nicht geöffnet. Das AG hat daraufhin Verhandlungstermin auf den 26.9.2007 bestimmt, der vom Beklagten zu 2 wiederum nicht wahrgenommen worden ist. Im auf den 19.10.2007 bestimmten Fortsetzungstermin hat die Mutter ausgeführt, von Mai bis August 2003 ein sexuelles Verhältnis mit dem Beklagten wie auch ein kurzzeitiges intimes Verhältnis mit dem Kläger gehabt zu haben. Die Möglichkeit, dass der Beklagte Ja. der Vater von J. sei, sei größer. Zwar habe der Kläger von Geburt an regelmäßigen Umgang mit J. gehabt, in den letzten knapp zwei Jahren sei dies jedoch nicht mehr der Fall gewesen.
Das Jugendamt hat am 12.12.2007 einen Hausbesuch bei J. und seinen gesetzlichen Vertretern gemacht und berichtet, J. habe den Beklagten zu 2 mit "Papa" angesproche...