Leitsatz (amtlich)
1. Die vollständige physische Vernichtung eines unmittelbar patentverletzenden Erzeugnisses kann nicht verlangt werden, wenn sie unverhältnismäßig ist. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der patentverletzende Zustand auf andere Weise - wie z.B. durch einen Umbau -beseitigt werden kann. ≫2. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sind nicht nur die Belange des Verletzers, sondern auch die Interessen des (davon verschiedenen) Eigentümers sowie Generalprävention und mit der Vernichtung beabsichtigte Sanktionierung in Betracht zu ziehen. Die Anordnung der Vernichtung durch Zerstörung kann unter Abwägung aller Umstände wegen der einerseits leicht durch ein Software-Update zu implementierenden klagepatentfreien Lösung und andererseits dem erheblichen Wert der angegriffenen Gesamtvorrichtung bei einem durchschnittlichen Verschulden und der ausreichenden Generalprävention und Sanktion unverhältnismäßig sein. ≫3. Dass dem Verletzer statt der Vernichtung im Sinne der Zerstörung ein Umbau (hier Software-Update) der Verletzungsgegenstände zu einer patentfreien Konstruktion gestattet wird, besagt noch nicht, dass dieselbe Einschränkung auch beim Rückruf gemäß § 140a Abs. 3 PatG generell berechtigt wäre und vorzunehmen ist. Es kann vielmehr auch dann, wenn bereits eine Veränderung eines Teils der Gesamtvorrichtung irreversibel aus der Patent-verletzung herausführt, gleichwohl der Anspruch unbeschränkt bestehen, wenn gerade dessen patentgemäße Ausgestaltung der Grund für den Verkauf des Gegenstands gewesen ist und der Verletzer dann den Kundenstamm, den er maßgeblich der Patentverletzung verdankt, sich durch die Lieferung der Ausweichtechnik erhalten würde. ≫4. Die Anordnung der Vernichtung im Wege des "Umbaus" kann durch Herausgabe an den Gerichtsvollzieher und der Vornahme der Handlung bei ihm und unter seiner Aufsicht erfolgen.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 30.04.2021; Aktenzeichen 7 O 2/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten Ziff. 2 und 3 wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 30. April 2021 - 7 O 2/20 - unter Aufrechterhaltung der Kostenentscheidung (Ziff. IV) und Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen in Ziff. I.4 dahin abgeändert, dass nach den Worten "auf eigene Kosten" ergänzt wird: "an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben, bei dem und unter dessen Aufsicht auf Kosten der jeweiligen Beklagten durch Mitarbeiter der jeweiligen Beklagten oder sonst von dieser beauftragte Dritte die verletzenden Teile ausgebaut/entfernt und vom Gerichtsvollzieher vernichtet/gelöscht werden, wobei die auf diese Weise modifizierten Vorrichtungen wieder an die jeweilige Beklagte ausgehändigt werden." und der Rest der Ziffer I.4 gestrichen wird, und die insofern weitergehende Klage abgewiesen wird.
2. Den Beklagten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
3. Dieses und - soweit es aufrecht erhalten bleibt - das in Ziff. 1 genannte Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung bezüglich der Unterlassung, Vernichtung und Rückruf i.H.v. 250.000 EUR je Beklagte, betreffend Auskunft und Rechnungslegung i.H.v. 25.000 EUR je Beklagte und bezüglich der Kosten in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter unmittelbarer und mittelbarer, wortsinngemäßer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie - die Beklagten zu 2 und 3 - auf Vernichtung und Rückruf von vertriebenen Gegenständen in Anspruch und begehrt Feststellung einer Ersatz- und Ausgleichsverpflichtung.
Die Klage wird gestützt auf den deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 213 273 (Klagepatents), das unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 02.02.2009 am 19.01.2010 angemeldet wurde. Die Anmeldung des Klagepatents wurde am 04.08.2010 veröffentlicht; die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 27.07.2016. Das Klagepatent steht in Kraft. Auf den Einspruch hat die Einspruchsabteilung beim Europäischen Patentamt am 23.10.2018 eine Zwischenentscheidung erlassen (vgl. Anlage [...]3). Die gegen die Entscheidung gerichteten Beschwerden beider Parteien (Einspruchsführer und Patentinhaber) sind mit Beschluss v. 10.03.2022 zurückgewiesen worden (T 2729/18, Anl. [...] 39). Die auf das parallele Gebrauchsmuster DE 20 2009 001 238 gestützten Ansprüche wurden vom Landgericht mit Beschluss v. 19.08.2020 abgetrennt. Über diese hat das Landgericht mit Urteil v. 11.06.2021 (7 O 94/20) entschieden und der Klage weitgehend stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urt. des Senats v. 09.11.2022 - 6 U 182/21. Die im vorliegenden Verletzungsrechtsstreit mit dem Hauptantrag geltend gemachten Patentansprüche 8 und 1 in der Fassung der Zwis...