Leitsatz (amtlich)
1. Dem Arzt, der in anderen vergleichbaren Fällen richtig aufgeklärt hat, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist, denn an den Beweis der gehörigen Erfüllung der Aufklärungspflichten durch die Behandlungsseite dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
2. Wurde der Operationstermin erst nach der Einwilligungserklärung des Patienten bestimmt, ist in der Regel eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Patienten nicht dargetan. Ein generelle Verpflichtung, den Zeitraum zwischen der Aufklärung und der in Betracht kommenden Operation in jedem Fall so zu bemessen, dass der Patient noch einen anderen Arzt konsultieren kann, besteht nicht.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 21.11.2002; Aktenzeichen 5 O 136/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Mannheim vom 21.11.2002 - 5 O 136/99 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger sind die Erben des am 20.7.1933 geborenen und am 24.6.2001 verstorbenen K. Sie nehmen die Beklagten auf Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und mangelnder Aufklärung in Anspruch. Das LG, auf dessen Urteil wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat einen Behandlungsfehler verneint, jedoch eine Haftung der Beklagten wegen unzureichender Aufklärung bejaht und sie unter Abweisung der weiter gehenden Klage zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 100.000 Euro verurteilt. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen.
Der Senat hat den Beklagten zu 2 angehört und Dr. T. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Beklagten zu 2) und der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.5.2004 Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Beklagte zu 2) hat Herrn K. vor der Operation vom 22.9.1997 hinreichend aufgeklärt.
1. Behandlungsfehler hat das LG auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens nebst Ergänzungsgutachten verneint. Die Beklagten greifen das, da ihnen günstig, nicht an. Aber auch die Kläger kommen darauf im Berufungsrechtszug nicht zurück. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
2. Nach dem Ergebnis der Anhörung des Beklagten zu 2) und der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte zu 2) den Verstorbenen, Herrn K., am 19.9.1997 über die Risiken der operativen Entfernung des Cavernoms im Bereich des Rückenmarks ausreichend aufgeklärt hat.
a) Die Einwilligung des Patienten in einen operativen Eingriff kann nur dann als wirksam angesehen werden, wenn er zuvor vom Arzt hinreichend aufgeklärt worden ist. Der Sinn und Zweck der Aufklärung liegt darin, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren. Ihm soll eine allgemeine Vorstellung von der Art und dem Schweregrad der in Betracht kommenden Behandlung sowie von den Belastungen und Risiken, denen er sich aussetzt, vermittelt werden, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung über die Frage zu ermöglichen, ob er in die ärztliche Behandlung einwilligt oder nicht. Aufzuklären ist der Patient insb. über die Risiken, die mit dem in Betracht kommenden Eingriff typischerweise verbunden sind.
b) Nach dem vom LG erhobenen Sachverständigengutachten, ist das Risiko einer schweren neurologischen Schädigung bis hin zur vollständigen Querschnittslähmung, wie sie bei Herrn K. aufgetreten ist, ein typisches, wenn auch seltenes Risiko einer Operation eines Cavernoms am Rückenmark. Nach diesen überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen, denen der Senat nach eigener Prüfung beitritt, war es geboten, Herrn K. nicht nur über die allgemeinen Risiken einer Operation aufzuklären, sondern insb. auch über das Risiko einer Verschlechterung der neurologischen Situation bis hin zu einer irreversiblen Querschnittslähmung.
c) Die Durchführung der erforderlichen Aufklärung durch den Arzt steht zur Beweislast der Behandlungsseite. An den Beweis der gehörigen Erfüllung der Aufklärungspflichten durch die Behandlungsseite dürfen jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sollte dem Arzt, der in anderen vergleichbaren Fällen richtig aufgeklärt hat, im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (grundlegend BGH v. 8.1.1985 - VI ZR 15/83, MDR 1985, 923 = VersR 1985, 361 [362]). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - außer Streit steht, dass...