Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Interpretation einer verkürzten Dokumentation gelten die allgemeinen Regeln für Dokumentationsversäumnisse mit der Folge, dass dem Arzt der Beweis offen steht, die Eintragung sei in eimen bestimmten Sinne zu verstehen.
2. Eine Beweislastumkehr beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers kommt nur dann in Betracht, wenn der grobe Behandlungsfehler nicht nur allgemein sondern im konkreten Fall geeignet war, den eingetretenen Schaden zu verursachen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 847 a.F.
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Heidelberg vom 2.2.2005 - 4 O 3/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Zwangsvollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger hat Schmerzensgeld i.H.v. mind. 20.000 EUR begehrt sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm auch künftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden sowie sämtliche materielle Schäden zu ersetzen, weil dieser es pflichtwidrig unterlassen habe, ihn auf die Notwendigkeit einer Untersuchung der Netzhaut bei weit gestellten Pupillen (sog. Mydriasis) hinzuweisen, als er sich am 20.10.1999 vom Beklagten hat augenärztlich untersuchen lassen. Dies habe zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen am Auge geführt.
Das LG, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie der dort getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben. Mit der Berufung verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter. Der Kläger hat seine Berufung zurückgenommen. Wegen des Weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die Berufung des Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 823, 847 BGB a.F. oder ein solcher wegen der Verletzung von Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (pVV, §§ 280 ff. BGB n.F. sind nicht anwendbar, Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB) durch den Beklagten zu.
Dem Beklagten ist anlässlich der augenärztlichen Untersuchung des Klägers am 20.10.1999 kein Behandlungsfehler unterlaufen, der die Haftung für die am 20.1.2000 festgestellte großflächige Netzhautabhebung und die dadurch notwendig werdenden vier Operationen sowie die fortbestehenden Folgen, insb. ein ständiges Fremdkörpergefühl im linken Auge sowie eine stark wechselnde Sehkraft von maximal noch 0,8 begründet.
1. Ein Behandlungsfehler des Beklagten liegt nicht darin, dass er, als der Kläger am 20.10.1999 zu ihm in die Praxis kam, unstreitig keine Netzhautuntersuchung unter Weitstellung der Pupillen (sog. Mydriasis) durchgeführt hat. Der Beklagte behandelte den Kläger, einen Kollegen, der eine Allgemeinarztpraxis im gleichen Ort unterhält, an diesem Mittwochmittag nach Abschluss des regulären Praxisbetriebs und hatte daher keine Zeit, diese Untersuchung durchzuführen, worauf er den Kläger auch hinwies. Dies hat der Sachverständige angesichts des Umstands, dass der Kläger an diesem Tag nicht über akute schwerwiegende Symptome klagte, sondern unstreitig die Photopsien bereits für September geschildert hatte, für den Senat überzeugend als nicht fehlerhaft erachtet (vgl. Ergänzungsgutachten v. 1.4.2004 S. 3, I 295 und mündliche Erläuterung v. 17.11.2004 S. 2, I 431).
Die mündliche Erläuterung des Gutachtens von Prof. B.-S. durch die Fachärztin Dr. J., die auch das schriftliche Gutachten verfasst hatte, ist verwertbar. Zwar ist Dr. Ja. nicht förmlich zur Sachverständigen bestellt worden, jedoch ergibt sich eine konkludente Bestellung durch die Ladung zum Termin, nachdem beide Parteien vorher auf Anfrage des Gerichts ihr Einverständnis mit der Erläuterung durch Dr. J. erklärt hatten.
Da der Kläger keinen Beweis für seinen Vortrag angetreten hat, er habe dem Beklagten bereits weitere Symptome, insb. das Schlierensehen geschildert, ist vom Vortrag des Beklagten auszugehen, der Kläger habe ihm am 20.10.1999 lediglich von den Symptomen der Photopsie berichtet. Diese sind, wie sich aus den Originalkrankenunterlagen ergibt, dokumentiert. Für die Vorgänge bei der Behandlung, die einen Behandlungsfehler begründen sollen, ist der Kläger als Patient beweispflichtig. Seine Behauptung widerspricht zudem der Dokumentation der Uniklinik H. in ihrem Aufnahmebericht vom 21.1.2000. Dies ergibt sich aus deren Originalkrankenunterlagen, die das LG allerdings - entgegen der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung wie bereits in mehreren anderen Verfahren - nicht beigezogen hat, die aber dem Senat im Berufungsrechtszug vorlagen und i...