Leitsatz (amtlich)
1. Zwar kommt grundsätzlich eine Haftung sowohl des Fahrers (aufgrund Verschuldens) als auch des Verkehrsunternehmens (aus Vertrag, Betriebsgefahr sowie Verschulden) in Betracht, wenn ein Fahrgast beim Einsteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel durch nachdrängende Fahrgäste zu Fall kommt; dies insbesondere, sofern wegen einer Großveranstaltung mit einem erheblich gesteigerten Passagieraufkommen zu rechnen war.
2. Es stellt sich jedoch ohne weiteres noch nicht als haftungsbegründendes, sorgfaltspflichtwidriges Verhalten des Fahrers dar, wenn bei erhöhtem Andrang sämtliche Einstiegstüren gleichzeitig geöffnet werden.
3. Eine grundsätzlich gegebene Haftung des Verkehrsunternehmens (nur) aus Betriebsgefahr kann unter Umständen hinter einem ganz überwiegenden Mitverschulden des zusteigenden Fahrgasts zurücktreten, wenn dieser die Situation an der Haltestelle kennt und - etwa wegen etlicher stark alkoholisierter Jugendlicher - selbst als bedrohlich bzw. sogar als "außer Kontrolle" wahrnimmt, sich dessen ungeachtet aber zum Einstieg in das Verkehrsmittel vor die anderen Wartenden in die "erste Reihe" stellt.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 9; BGB § 254 Abs. 1, §§ 823, 831; PBefG §§ 8, 22; BOKraft §§ 2-3
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 28.10.2008; Aktenzeichen 6 O 44/08) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Mannheim vom 28.10.2008 - 6 O 44/08 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schadensersatz sowie Schmerzensgeld(-rente) und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle Schäden wegen eines Sturzes beim Besteigen eines Linienomnibusses.
Hinsichtlich der tatbestandlichen Feststellungen sowie Entscheidungsgründe wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Änderungen und Ergänzungen ergeben sich aus den nachfolgenden Ausführungen:
Am 8.9.2007 gegen 21:00 Uhr war der Beklagte Ziff. 2 als Fahrer in einem Bus der Beklagten Ziff. 1 auf der Bus-Linie 0 zwischen S., L. und M. eingesetzt. Zu dieser Zeit wurde in L. das Altstadtfest gefeiert, weswegen die Beklagte Ziff. 1 auch zusätzliche Busse in Betrieb hatte. Als sich der Beklagte Ziff. 2 der Bushaltestelle am Bahnhof in S. näherte und eine größere Anzahl Wartender wahrnahm, tauschte er den von ihm geführten eingliedrigen Bus gegen einen zweigliedrigen Gelenkbus aus. An der Endhaltestelle in M. wurde er später von einer Frau angesprochen, die angab, beim Besteigen des Busses gestürzt zu sein.
Die Klägerin behauptet, an der Bushaltestelle beim Bahnhof in S. sei die Situation völlig außer Kontrolle gewesen. Es hätte dort eine so große Anzahl Personen gewartet, dass diese ersichtlich nicht in einen Bus gepasst hätten, was aufgrund der überregionalen Bekanntheit des traditionellen L. Altstadtfests auch für die Beklagte Ziff. 1 vorhersehbar gewesen sei. Das gelte auch insoweit, als sich in der Gruppe der Wartenden bereits erkennbar alkoholisierte Jugendliche befunden hätten. Sie, die Klägerin, habe bei der mittleren Tür in den Gelenkomnibus einsteigen wollen. Dabei sei sie von nachdrängenden Fahrgästen von hinten gestoßen worden und zu Fall gekommen. Sie habe sich das rechte Knie verdreht und eine Innenband- sowie eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes zugezogen.
Wegen der Fahrgastfülle im Bus habe sie sich erst an der Endhaltestelle in M. zum Beklagten Ziff. 2 vor bewegen, diesem den Vorfall melden sowie mitteilen können, dass sie starke Schmerzen habe. Der Beklagte Ziff. 2 habe hierauf nicht reagiert und sie ohne weitere Hilfsmaßnahmen an der Haltestelle zurückgelassen.
Infolge des Unfalls sei sie bereits wiederholt operiert, allerdings bis heute gesundheitlich nicht wiederhergestellt worden. Sie sei arbeitsunfähig krank geschrieben worden, könne maximal Gehstrecken von 200 - 300 m mit Unterarmstöcken zurücklegen und leide fortwährend an Schmerzen, weswegen sie zweimal jede Nacht aufwache und das Schmerzmittel Ibuprofen 800 einnehmen müsse. Ob bei ihr ein Dauerschaden verbleiben werde, sei medizinisch noch nicht abschließend beurteilbar.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 12.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.10.2007 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner eine monatliche Schmerzensgeldrente i.H.v. 500 EUR ab 1.5.2008 vierteljährlich im Voraus jeweils zum 1.5.2008, zum 1.8.2008, zum November 2008 und zum 1.2.2009 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssa...