Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Vertrag zwischen einem ausübenden Künstler (Popmusiker) und einem Musikproduzenten als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, kann dies die Nichtigkeit des zur Erfüllung des Vertrags erfolgten Verfügung (Einräumung von Nutzungsrechten) zur Folge haben. In diesem Fall ist ein Tonträgerhersteller, der sich auf einen Vertrag mit dem Musikproduzenten stützt, nicht befugt, Tonträger mit den Werken des Künstlers zu vertreiben. Der Tonträgerhersteller handelt grundsätzlich nicht schuldhaft, solange er keine Kenntnis davon hat, dass der Künstler die Nichtigkeit des Vertrags mit dem Musikproduzenten geltend macht; ein Verschulden kann nicht schon darin gesehen werden, dass er es unterlässt, den Vertrag zwischen Künstler und Musikproduzenten auf seine Angemessenheit zu prüfen.
2. Zur eingeschränkten Geltung des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 05.08.2005; Aktenzeichen 7 O 412/02) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Mannheim vom 5.8.2005 - 7 O 412/02 - werden zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsrechtszugs tragen der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstre ckunghinsichtlich der Verurteilung zur Rechnungslegung und Auskunft durch Sicherheitsleistung i.H.v. 200.000 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich der Kosten kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten zu 1) und 2) wegen Verletzung von Leistungsschutzrechten auf Auskunft und Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger ist Pop-Sänger. Er hatte mit der Beklagten zu 1, die ein Tonträgerunternehmen betreibt, zunächst am 26.5.1997 einen "Optionsvertrag" (Anlage K 16) geschlossen, sodann am 1.4.1998 einen "Künstlervertrag" (Anlage K 1). In Vollzug dieses Künstlervertrags wurden die in den Anträgen im Einzelnen aufgeführten Lieder aufgenommen, wobei der Kläger als Sänger mitgewirkt hat. Die Beklagte zu 1) hat mit der Beklagten zu 2) einen Lizenzvertrag über die Auswertung dieser Aufnahmen geschlossen. Unmittelbare vertragliche Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) bezüglich der genannten Aufnahmen gab und gibt es nicht. Die Beklagte zu 2) hat Tonträger mit den entsprechenden Liedern hergestellt und vertrieben. Sie hat dafür der Beklagten zu 1) eine Vergütung gezahlt. Die Beklagte zu 1) hat ihrerseits aufgrund des Künstlervertrags Zahlungen an den Kläger geleistet.
In einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) hat das LG Mannheim mit Urteil vom 19.4.2002 u.a. festgestellt, "dass, basierend auf dem Künstlervertrag der Parteien, datiert auf den 1.4.1998, ein etwaig über die Unterzeichnung dieses Vertrags wirksam zustande gekommenes Künstlervertragsverhältnis der Parteien jedenfalls nicht mehr besteht". Das LG hat hierzu ausgeführt, der Künstlervertrag sei gem. § 138 Abs. 1 BGB als wucherähnliches Rechtsgeschäft sittenwidrig und damit nichtig. Auf Anlage K 2 wird hierzu verwiesen. Die Berufung der hiesigen Beklagten zu 1) hat der Senat mit Urteil vom 9.7.2003 (6 U 65/02) zurückgewiesen (Anlage K 58). Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde der hiesigen Beklagten zu 1) hat der BGH mit Beschluss vom 7.10.2004 (I ZR 163/03) zurückgewiesen (Anlage K 59). In einem Verfügungsverfahren zwischen dem hiesigen Kläger und der hiesigen Beklagten zu 1, das beim LG Frankfurt anhängig gemacht worden war, war die vom Kläger geltend gemachte Nichtigkeit des Künstlervertrags bereits zur Sprache gekommen. An der mündlichen Verhandlung vom 14.9.2000 (Protokoll als Anlage K 69) nahm der damalige Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten zu 2) als Zuschauer teil.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Nichtigkeit des Künstlervertrags zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) habe nicht nur die Unwirksamkeit schuldrechtlicher Verpflichtungen zur Folge. Vielmehr sei auch die Einräumung von Nutzungsrechten an den Leistungsschutzrechten des Klägers unwirksam. Das Abstraktionsprinzip gelte im Urheber- und Leistungsschutzrecht nur eingeschränkt. Außerdem liege ein sog. Doppelmangel vor. Beide Beklagten hätten schuldhaft gehandelt, weil ihnen der Künstlervertrag bekannt gewesen sei und sie erkannt hätten, dass dieser nichtig sei. Die Beklagte zu 2) hätte sich jedenfalls vor der Verwertung der Rechte Gewissheit über deren Bestand verschaffen müssen. Hilfsweise hat sich der Kläger auf Kündigungserklärungen vom 26.10.2002 (Anlage K 17) und vom 28.2.2001 (Anlage K 18) berufen. Der Kläger müsse sich auch eine Genehmigung oder Bestätigung des Vertrags nicht entgegenhalten lassen, denn er habe aus...