Leitsatz (amtlich)

1. Ein von einem Erblasser zu Lebzeiten unentgeltlich gewährter Nießbrauch an einem Hausgrundstück zu Gunsten seiner Lebensgefährtin stellt sich nicht als beeinträchtigend im Sinne des § 2287 Abs. 1 BGB analog dar, wenn der Erblasser im erheblichen Eigeninteresse gehandelt hat, da er sich hierdurch (auch) der Unterstützung seiner Lebensgefährtin in alten und kranken Tagen versichern wollte, und der Nießbrauch sich nicht nur als bloße Versorgungsleistung zu Gunsten seiner Lebensgefährtin darstellt (Abgrenzung zu OLG Celle, Beschluss vom 15. Juni 2006 - 6 U 99/06 -, Rn. 3, juris).

2. Die Erwartung einer gegenseitigen Unterstützung in alten, kranken und gebrechlichen Tagen beschränkt sich nicht nur auf Pflegeleistungen, sondern umfasst auch im Rahmen einer Lebensgemeinschaft übliche, alltägliche Unterstützungsleistungen außerhalb des pflegerischen Bereiches.

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 5 O 117/21)

 

Tenor

1. Die Berufungen der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 19.10.2021, Az. 5 O 117/21, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch die Beklagte jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Streitgegenständlich ist ein Anspruch auf Rückabwicklung einer lebzeitigen Schenkung des Erblassers.

B (im Folgenden: Erblasser), geboren am 27.12.1932, ist am 03.02.2020 verstorben.

Der Erblasser war viermal verheiratet, und zwar

  • von 1956 bis 1961 mit der Ehefrau U,
  • von 1962 bis 1972 mit der Ehefrau R,
  • von 1973 bis 1988 mit der Ehefrau C,
  • von 1989 bis 2003 mit der Ehefrau M, die am 04.02.2003 verstorben ist.

Die Klägerin Ziffer 2 stammt aus der ersten Ehe mit Frau U.

Die Klägerin Ziffer 1 ist die voreheliche Tochter der vierten Ehefrau M. Der Erblasser war also der Stiefvater der Klägerin Ziffer 1.

Die Beklagte, geboren am 27.04.1939, war die Lebensgefährtin des Erblassers, die etwa ab dem Jahr 2006 mit dem Erblasser bis zu dessen Tod zusammenwohnte.

Mit gemeinschaftlichem Testament vom 10.01.2002 hatten sich der Erblasser und seine vierte Ehefrau gegenseitig als Erben eingesetzt. Die beiden Klägerinnen sollten Erben des überlebenden Ehegatten werden (Anlage I K 2).

Das Wohnhaus X in M, eingetragen im Grundbuch von M, Blatt 8.., Flurstück Nr. 6..., stand im Eigentum der vierten Ehefrau des Erblassers (Anlage I K 3).

Im Jahr 2006 drohte die Zwangsversteigerung der Immobilie. Die Beklagte übernahm seinerzeit die offenen Verbindlichkeiten des Erblassers, um die Versteigerung zu vermeiden. Der Zwangsversteigerungsvermerk ist am 28.06.2006 gelöscht worden (Anlage I K 3).

Mit notariellem Vertrag vom 27.06.2007 räumte der Erblasser der Beklagten an dem oben genannten Grundstück eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Form eines lebenslangen Mitbenutzungsrechts sowie einen bedingten Nießbrauch ein. Wörtlich enthielt dieser Vertrag unter anderem die folgenden Bestimmungen:

"I. Vorbemerkung

Beide Beteiligten sind verwitwet. Sie haben sich vor einiger Zeit kennengelernt und sind eine dauerhafte Haus- und Lebensgemeinschaft eingegangen. Damit verbinden sie auch die Erwartung einer gegenseitigen Unterstützung in alten, kranken und gebrechlichen Tagen. Der gemeinsame Hausstand befindet sich im Anwesen von Herrn B. Frau K hat ihren eigenen Hausstand endgültig aufgegeben. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten wird die nachstehende Vereinbarung getroffen.

II. Beschränkte persönliche Dienstbarkeit

Herr B ist im Grundbuch von M Nr. 8... als alleiniger Eigentümer des Flurstücks 6..., X, Gebäude und Freifläche mit 805 m2 eingetragen.

Er räumt hiermit Frau K auf deren Lebenszeit das Recht ein, das Grundstück nebst aller Gebäude gleichberechtigt zusammen mit ihm selbst zu benutzen.

Die laufenden Betriebskosten und Unterhaltungskosten für das Grundstück und die Gebäude tragen die Beteiligten künftig zu gleichen Teilen.

Das Mitbenutzungsrecht endet mit dem Tod von Herrn B und mit dem Tode von Frau K. Es endet ferner, wenn die bestehende Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass vom Nichtbestehen einer Lebensgemeinschaft dann auszugehen ist, wenn ein Partner dem anderen gegenüber durch eine schriftliche Erklärung die Lebensgemeinschaft für beendet erklärt.

Herr B bewilligt und beide Beteiligten beantragen, das Mitbenutzungsrecht mit dem vorstehend vereinbarten Inhalt als beschränkte Dienstbarkeit an rangbereiter Stelle im Grundbuch einzutragen und dabei zu vermerken, dass zur Löschung der Nachweis des Todes der Berechtigten genügt.

III. Bedingter Nießbrauch

Für den Fall, dass Herr B vor Frau K stirbt u...

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