Leitsatz (amtlich)
1. Der Betreiber eines sozialen Netzwerks ist bereits kraft Gesetzes zur Löschung von Beiträgen berechtigt, die strafbare Inhalte enthalten.
2. Zur Strafbarkeit der Bezeichnung einer anderen Person als "Vollcovidiot" sowie der Veröffentlichung intimer Fotografien des Sohnes des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in einem sozialen Netzwerk.
3. Zu den Voraussetzungen von Datenberichtigungs-, Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen nach Beitragslöschungen und Accountsperrungen in sozialen Netzwerken.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4.8.2022 - 3 O 134/21 - wird hinsichtlich seiner Berufungsanträge Nummern 5, 6, 9 und 14 verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4.8.2022 - 3 O 134/21 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Beklagte betreibt für Nutzer in Deutschland das soziale Netzwerk "Facebook". Der Kläger unterhält ein privates Nutzerkonto bei der Beklagten.
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der Einschränkung des Facebook-Nutzerkontos des Klägers und der Löschung mehrerer seiner Beiträge durch die Beklagte sowie sein hiermit im Zusammenhang stehendes Verlangen nach Wiederherstellung der zugrundeliegenden Beiträge, Feststellung, Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz.
Die Nutzung des Netzwerkes erfolgt auf der Grundlage einer einmaligen Anmeldung unter Angabe aller Klardaten. Der Nutzer muss dabei die Geschäftsbedingungen der Beklagten akzeptieren, die sich im Wesentlichen aus zwei Teilen - den Nutzungsbedingungen und den Gemeinschaftsstandards - zusammensetzen. Im April 2018 änderte die Beklagte ihre Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards. Der Kläger stimmte dieser Änderung durch Bestätigung eines entsprechenden Buttons am 25.4.2018 zu.
Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen der Beklagten von April 2018 lautet auszugsweise wie folgt:
"2. Was du auf Facebook teilen und tun kannst:
Wir möchten, dass Personen Facebook nutzen, um sich auszudrücken und Inhalte zu teilen, die ihnen wichtig sind. Dies darf jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens anderer oder der Integrität unserer Gemeinschaft erfolgen. Du stimmst deshalb zu, dich nicht an den nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen zu beteiligen (oder andere dabei zu fördern oder zu unterstützen):
1. Du darfst unsere Produkte nicht nutzen, um etwas zu tun oder zu teilen, auf das Folgendes zutrifft:
Es verstößt gegen diese Nutzungsbedingungen, unsere Gemeinschaftsstandards oder sonstige Nutzungsbedingungen und Richtlinien, die für deine Nutzung von Facebook gelten.
Es ist rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch.
Es verletzt die Rechte einer anderen Person bzw. deren geistige Eigentumsrechte.
(...)
Wir können Inhalte, die gegen diese Bestimmungen verstoßen, entfernen oder blockieren. Wenn wir einen von dir geteilten Inhalt wegen eines Verstoßes gegen unsere Gemeinschaftsstandards entfernen, werden wir dich entsprechend informieren und dir erläutern, welche Möglichkeiten du hast, eine weitere Überprüfung zu beantragen, es sei denn, du hast erheblich oder wiederholt gegen diese Nutzungsbedingungen verstoßen oder die Benachrichtigung unsererseits könnte für uns oder andere zu einer gesetzlichen Haftung führen, unserer Gemeinschaft schaden, die Integrität oder den Betrieb unserer Dienste, Systeme oder Produkte beeinträchtigen oder stören, oder wir werden aufgrund technischer Einschränkungen daran gehindert oder es ist uns aus rechtlichen Gründen untersagt. (...)"
In der Einleitung der Gemeinschaftsstandards von April 2018 heißt es unter "Gleichheit" im 3. Absatz auszugsweise:
"Verstöße gegen unsere Gemeinschaftsstandards haben Folgen. Wie diese Folgen konkret aussehen, hängt von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der jeweiligen Person auf Facebook ab. So können wir bei einem ersten Verstoß eine Verwarnung aussprechen. Bei einem Folgeverstoß können wir die Posting-Rechte des Nutzers/der Nutzerin einschränken oder das entsprechende Profil deaktivieren. (...)"
Unter dem Abschnitt "Sicherheit" enthalten die Gemeinschaftsstandards folgende Passage:
"Um Opfer und Überlebende zu schützen, entfernen wir Darstellungen von sexueller Gewalt sowie intime Bilder, die ohne Einwilligung der darin abgebildeten Person(en) geteilt wurden."
Weiter heißt es in der Regelung zum Verbot des sexuellen Missbrauchs Erwachsener und der Darstellung intimer Fotografien:
"Folgende Inhalte sind untersagt: (...)
Inhalte, die versuchen, Menschen durch eine der folgenden Methoden auszubeuten oder zu missbrauchen: (...) Das Teilen, Anbieten oder Anfordern von Bildern aus Rachegründen ("Revenge Porn" bzw. "Racheporno") bzw. von intimen Bildern, die ohne Einverständnis aufgeno...