Entscheidungsstichwort (Thema)
Überraschungswirkung einer weiten Sicherungsabrede - Schadensersatzanspruch gegen die Grundschuldgläubigerin bei verzögerter Freigabe der Grundschuld
Leitsatz (amtlich)
1. Eine formularmäßige weite Sicherungsabrede kann für den Sicherungsgeber überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB sein, wenn er unter den gegebenen Umständen davon ausgehen durfte, die Grundschuld solle nur der Sicherung des Anlassdarlehens dienen.
2. Der Erwerber eines Grundstücks braucht als Sicherungsgeber nicht ohne weiteres mit einem weiten Sicherungszweck in einer formularmäßigen Sicherungsabrede zu rechnen, wenn der Grundstückseigentümer (Veräußerer) und die Grundschuldgläubigerin wenige Wochen vorher bei der Grundschuldbestellung vereinbart hatten, dass der Sicherungszweck der Grundschuld auf das Anlassdarlehen, das der Finanzierung des Erwerbs diente, beschränkt sein sollte.
3. Erklärt die Grundschuldgläubigerin, sie werde die Grundschuld nur freigeben, wenn der Sicherungsgeber eine Verpflichtung erfüllt, die nicht Gegenstand der Sicherungsabrede ist, verletzt sie Nebenpflichten aus der Sicherungsvereinbarung. Daraus kann sich ein Schadensersatzanspruch gegen die Grundschuldgläubigerin gem. § 280 Abs. 1 BGB ergeben.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 305c Abs. 1, § 1191
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 15.08.2011; Aktenzeichen 4 O 5/11 Me) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Konstanz vom 15.8.2011 - 4 O 5/11 Me - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.384,50 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.11.2010.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 546,69 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen, nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2010.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beklagte zu 3/5, die Klägerin zu 2/5.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht im Rechtsstreit Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend, weil diese eine zu ihren Gunsten bestehende Grundschuld trotz Tilgung der gesicherten Darlehensforderung pflichtwidrig erst mit erheblicher Verzögerung freigegeben habe.
Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann (im Folgenden abgekürzt: Ehemann) erwarben im Rahmen einer Erbauseinandersetzung im Jahr 2004 als Miteigentümer zu je 1/2 das Grundstück B. Weg in U.. Aufgrund einer testamentarischen Verfügung der Erblasserin stand der Klägerin und ihrem Ehemann ein Anspruch gegen den Nachlass auf Übertragung des Grundstücks zu gegen Zahlung eines Betrages i.H.v. 138.048,81 EUR an den Nachlass. Zur Finanzierung dieses Betrages nahmen die Klägerin und ihr Ehemann mit schriftlichem Vertrag vom 02.03./5.3.2004 (Anlage K 13) bei der Beklagten ein Darlehen i.H.v. 140.000 EUR auf. Mit notarieller Erklärung vom 12.2.2004 (II 25 ff.) hatten die Klägerin und ihr Ehemann - mit Einverständnis des Testamentsvollstreckers - schon vorher zugunsten der Beklagten auf dem zu erwerbenden Grundstück eine Grundschuld über einen Betrag von 150.000 EUR nebst 15 Prozent Jahreszinsen sowie zzgl. einer Nebenleistung von fünf Prozent des Grundschuldbetrages bestellt. In der Urkunde zur Bestellung der Grundschuld heißt es in einem Abschnitt "Nicht für das Grundbuchamt bestimmt" u.a.:
Von dem Testamentsvollstrecker für den Nachlass wird keine persönliche Haftung für das Darlehen übernommen. Die Zweckbestimmungsabrede für das hier bestellte Grundpfandrecht ist dahin eingeschränkt, dass die Grundschuld nur der Finanzierung des an den Testamentsvollstrecker für den Nachlass zu bezahlenden Entgeltes dient und bis zur Umschreibung des Eigentums nur zur Sicherung des tatsächlich an diesen ausbezahlten und vom Grundpfandgläubiger finanzierten Preises von 138.048,81 EUR verwendet werden darf.
Die Grundschuld wurde am 27.2.2004 im Grundbuch eingetragen; die Umschreibung des Eigentums auf die Klägerin und ihren Ehemann erfolgte am 1.6.2004 (vgl. den Grundbuchauszug Anlage B 4).
Im Zusammenhang mit dem Abschluss des Darlehensvertrages - also nach der Bestellung der Grundschuld - unterzeichneten die Klägerin und ihr Ehemann am 5.3.2004 auf Ersuchen der Beklagten für die Grundschuld eine "Zweckerklärung zur Sicherung der Geschäftsverbindung mit Abtretung der Rückgewähransprüche sowie Übernahme der persönlichen Haftung" (Anlage K 12). In der formularmäßig von der Beklagten vorformulierten Erklärung heißt es u.a.:
1.1 Die Grundschuld, die Abtretungen unter 2 sowie ... dienen zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Forderungen der Gläubigerin oder eines die Geschäftsverbindung fortsetzenden Rechtsnachfolgers der Gläubigerin gegen ... (es folgen die Namen der Klägerin und ihres Ehemannes)... aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung, insbesonder...