Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage, ob im Fall der vorläufigen Vollstreckung eines Unterlassungstitels der Bestimmung der Höhe der Sicherheit die Prognose zugrunde zu legen ist, der Beklagte werde seinen Streamingdienst im Inland ganz einstellen und nicht nur eine Komfortfunktion deaktivieren oder diese technisch durch eine Ausweichlösung ersetzen.

2. Die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, welche gegen den Schuldner beim Umfang der von ihm zur Befolgung eines Unterlassungstitels angekündigten Maßnahmen einen Mitverschuldenseinwand begründen könnten, trägt der Kläger (Vollstreckungsgläubiger).

3. Die Schätzung der Höhe des drohenden Vollstreckungsschadens und damit der Höhe der Sicherheit erfolgt auf der Grundlage des (ggf. streitigen und nicht im Beweisverfahren geklärten) Parteivortrags.

4. Unstreitiges neues Vorbringen ist bei der Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 718 ZPO zu berücksichtigen.

5. Dass der Beklagte die verbotenen Handlungen derzeit nicht vornimmt, steht dem Umstand nicht entgegen, dass er für die Zukunft im Fall der vorläufigen Vollstreckung an deren Vornahme aufgrund des Titels gehindert ist. Die Annahme, dass dem Beklagten damit kein Vollstreckungsschaden drohe, ist daher unzutreffend.

 

Tenor

[...]

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.04.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Mannheim - 7 O 88/21 - wird, soweit sie den Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit betrifft und eine Heraufsetzung der Sicherheitsleistung beantragt wird, zurückgewiesen.

2. Der Antrag der Klägerin vom 22.08.2022, die im Urteil des Landgerichts Mannheim v. 22.04.2022 angeordnete Vollstreckungssicherheit auf [...] bzw. höchstens auf [...] Mio. EUR festzusetzen, wird zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

 

Gründe

I. Die in erster Instanz unterlegene und die Berufung führende Beklagte beantragt gemäß § 718 ZPO eine Vorabentscheidung des Berufungsgerichts über die Heraufsetzung der Sicherheitsleistung in Bezug auf die Unterlassung auf [...] Mio. EUR, die Klägerin eine Herabsetzung der Sicherheitsleistung auf [...], höchstens aber auf einen Betrag von [...] Mio. EUR.

Die Parteien streiten über die Folgen einer von der Klägerin behaupteten Patentverletzung durch den - jedenfalls in der Vergangenheit - von der Beklagten angebotenen Streamingdienst sowie der hieraus resultierenden Ansprüche. Der Streamingdienst ermöglicht den Abonnenten des Dienstes, Filme über das Internet zu streamen. Wenn sich ein Nutzer über den Webbrowser eines Computers auf dem Streamings-Portal einloggt, wird Software auf den Computer heruntergeladen und sodann für den Streamingvorgang genutzt ("angegriffene Abspielsoftware"). Das Landgericht hat der auf das Klagepatent EP [...] gestützten Klage weitgehend stattgegeben und die Beklagte zur Unterlassung, Auskunft / Rechnungslegung verurteilt sowie die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz festgestellt. Es hat die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und angeordnet, dass das Urteil gegen Sicherheitsleistung für die Vollstreckung gegen die Beklagte hinsichtlich der Ziff. 1 (Unterlassung) i.H.v. [...] Mio. EUR und hinsichtlich der Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. 2) i.H.v. 40.000 EUR sowie im Übrigen i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar ist. Den Streitwert hat das Landgericht entsprechend der Streitwertangabe der Klägerin (Klageerweiterung, AS I 174) auf [...] Mio. EUR festgesetzt (AS I 537). Den Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat der Senat mit Beschluss vom 05.07.2022 zurückgewiesen. Die Gegenvorstellung der Beklagten blieb ohne Erfolg (Beschluss v. 02.08.2022). Die Klägerin hat die vom Landgericht festgesetzte Sicherheit iHv [...] Mio. EUR hinterlegt, bislang aber keine Vollstreckungsmaßnahmen beantragt.

Die Beklagte macht im Rahmen ihres Antrags nach § 718 ZPO geltend, die in erster Instanz festgesetzte Sicherheitsleistung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sei in Anbetracht des der Beklagten drohenden Schadens unzureichend und überdies ohne nachvollziehbare Berechnungsgrundlage bestimmt worden. Richtigerweise sei die Sicherheitsleistung gemessen an dem drohenden Vollstreckungsschaden nach dem bereits in erster Instanz geführten und glaubhaft gemachten Vortrag auf mindestens [...] Mio. EUR festzusetzen. Das Landgericht habe das ihm gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt und den festgesetzten Betrag ohne Darlegung einer Berechnungsgrundlage oder hierfür sprechender Anhaltspunkte willkürlich ausgeurteilt. Seiner Entscheidung habe es einen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es anstatt auf den glaubhaft gemachten Vortrag der Beklagten auf angebliche Umgehungslösungen und eigene Vermutungen abgestellt habe.

Die Beklagte beantragt,

die im Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22.04.2022, Az. 7 O 88/21 festgesetzte Sicherheit jedenfalls mit Bezug auf Ziff. 1 (Unterlassung) des Tenors auf einen Betrag von mindes...

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