Leitsatz (amtlich)
1. Werden Ausschreibungsunterlagen in ihren Bedingungen durch weitere Ausschreibungsunterlagen ergänzt und/oder modifiziert, so liegt darin nur dann eine zur Abhilfe (und gegebenenfalls Auslösung einer erneuten Rügefrist) geeignete Änderung der mitgeteilten Auswahlkriterien und deren Gewichtung, wenn diese Änderung dem Bieter durch verbindliche und klare Formulierungen vor Augen geführt wird. Daran fehlt es, wenn die Gemeinde sich gerade weigert, die Kriterien zu ändern, und lediglich ihr Verständnis bzw. ihre Bewertung als Teil der Begründung einer Nichtabhilfeentscheidung mitteilt.
2. Die Zuschlagskriterien der Gemeinde müssen insbesondere objektiv und ohne Unterschied auf alle Angebote anwendbar sein und einen Bezug zum Netzbetrieb haben bzw. die netzwirtschaftlichen Anforderungen wahren, wobei namentlich die Gewichtung der Zuschlagskriterien sachgerecht an den Zielen des § 1 EnWG orientiert sein muss. Der Ausgestaltungsspielraum der Gemeinde findet eine Grenze - auch - dort, wo die Auswahlkriterien und deren Gewichtung die objektiven Anforderungen an den Netzbetrieb mit Rücksicht auf die gebotene Ausrichtung an Kriterien, die das Ziel des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren, ersichtlich unzureichend abbilden (Festhaltung und Klarstellung zu Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 6 U 109/18 Kart, juris Rn. 137).
3. Auch bei zu erwartender Bieterbeteiligung der Gemeinde gilt der Grundsatz, dass in der Mitteilung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung das Offenlassen der Bewertungsmaßstäbe insoweit unzulässig ist, wenn diese so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, auf deren Grundlage das beste Angebot ermittelt wird, und sie in Folge dessen auch vor einer willkürlichen und/oder diskriminierenden Angebotsbewertung nicht mehr effektiv geschützt sind (Festhaltung Senat, Urteil vom 3. April 2017 - 6 U 153/16 Rn. 129; Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart, juris Rn. 344).
4. Der Senat hält auf der Grundlage der seit dem 3. Februar 2017 geltenden Regelungen in §§ 46, 47 EnWG nicht daran fest, dass in der Mitteilung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung nach § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG im Fall einer relativen Bewertungsmethode in Ansehung einer Beteiligung der Gemeinde als Bieterin schlechthin vermieden werden müsste, an bloße unbestimmte Wertungen anzuknüpfen, ohne die beabsichtigte Bewertungsmethode weiter offenzulegen. Vielmehr kann jedenfalls bei einem Konzeptwettbewerb die Ankündigung einer (relativen) Bewertungsmethode genügen, die bei der späteren Auswahlentscheidung eine objektiv nachvollziehbare Bewertung ermöglicht, auch wenn diese nicht aufgrund genauer Festlegung der Bewertungsmethode an vorab festgelegte Zielerreichungsgrade anknüpfen kann, sondern qualitative Wertungen erfordern wird, die erst auf der Grundlage des Kreises der eingegangenen Gebote zu treffen sind. Ob und wenn ja welchen Detailgrad hingegen die Darstellung der einzelnen Auswahlkriterien haben muss, um die Bieter je nach etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Kriteriums vor der vermeidbaren Gefahr späterer Manipulationen bei der Auswertung der Angebote zu schützen, bleibt offen.
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsklägerin und die Anschlussberufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 20. Oktober 2021, Az. 14 O 129/21 Kart, werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Anschlussberufung werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
A. Die verfügungsbeklagte Stadt (fortan: Beklagte) führt ein Verfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für die Stromversorgung im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG (Stromkonzession) in fünf ihrer Ortsteile ([...]) durch, an dem sich die Verfügungsklägerin (fortan: Klägerin) beteiligt. Im vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG wendet sich die Klägerin gegen einzelne im "1. Verfahrensbrief" mitgeteilte Auswahlkriterien und die zugrundeliegende Bewertungsmethodik. Sie verfolgt mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das Ziel, der Beklagten zu untersagen, das Verfahren zur Vergabe der Stromkonzession fortzusetzen, ohne zuvor mehreren der vorgerichtlich erhobenen Rügen der Klägerin abgeholfen, hilfsweise über deren Abhilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden zu haben.
Die Stadtwerke B GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Beklagte ist, ist bereits als Verteilnetzbetreiber in anderen Teilen des Stadtgebiets der Beklagten tätig. Nach unwidersprochenem Vortrag der Klägerin ist damit zu rechnen, dass die Stadtwerke B GmbH auch als Bewerberin am hier gegenständlichen Auswahlverfahren teilnimmt.
Die Beklagte teilte mit dem 1. Verfahrensbrief vom 17. Mai 2021 (Anlage AS 3) Auswahlkriterien (Anlage 1 zum 1. Verfahrensbrief, Anlage AS 4) sowie einen Musterkonzessionsvertrag (Anlage 2 zum 1. Verfahrensbrief, Anlage AS 5) mit und forderte zur Abgabe indikativer Angebote auf. Mit Schreiben vom 2. Juni 2021 (Anl...