Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Unterbringung eines nach § 3 S. 1 JGG strafrechtlich nicht verantwortlichen und zugleich im Sinne von § 20 StGB schuldunfähigen Jugendlichen in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB.
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 13. Oktober 1999 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht -Jugendschöffengericht- hat den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, den seit Januar 2000 17 Jahre alten Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, und statt dessen als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme angeordnet, dass sich der Beschuldigte nach näherer Weisung des zuständigen Vormundschaftsgerichts in ärztliche Behandlung in eine geschlossene Abteilung einer jugendpsychiatrischen Klinik zu begeben habe. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer dagegen erhobenen Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Sie begehrt weiterhin die Unterbringung des Beschuldigten und macht geltend, dass bei gleichzeitig gegebener Schuldunfähigkeit und mangelnder Reife nach § 3 Satz 1 JGG der Anwendung der Vorschriften über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §§ 20, 63 StGB der Vorrang gebühre.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
II.
Das sachverständig beratene Jugendschöffengericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass der zur Tatzeit 15 Jahre alte Beschuldigte die ihm angelastete rechtswidrige Tat des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung als strafrechtlich nicht verantwortlicher Jugendlicher zugleich im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Es hat eine schwere Form einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotion, Entwicklungsstörungen sowie eine geistige Behinderung vom Grade der Debilität festgestellt und war auf dem Hintergrund einer schweren Retardation vom Fehlen der sittlichen und geistigen Reife ausgegangen. Daneben hat es unter Annahme einer entwicklungsunabhängigen und schwerwiegenden kombinierten Störung von Gedächtnisfunktion, kausalem Zuordnungs- und Abstraktionsvermögen Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB bejaht.
Zur Gefährlichkeitsprognose ist das Amtsgericht ebenfalls sachverständig beraten ohne Rechtsfehler zu der Auffassung gelangt, dass ohne eine fachärztliche Behandlung vom Beschuldigten weitere erhebliche Straftaten im Bereich der Sexualdelikte zu erwarten seien; er weise abnorme Persönlichkeitszüge auf, die er nicht angemessen steuern könne und die völlig unvorhersehbar zu schwersten Straftaten führen könnten. Gleichwohl hat das Amtsgericht von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB abgesehen, weil bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folge, dass bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB und einer nicht vorhandenen Strafmündigkeit gem. § 3 JGG die Maßregeln der Besserung und Sicherung erst an zweiter Stelle stehen, und dass zuvor die weniger belastenden vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen gem. § 3 Satz 2 JGG ausgeschöpft werden müssen.
Dies ist entgegen der Ansicht der Revision aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
III.
Liegt sowohl nach § 3 JGG fehlende strafrechtliche Verantwortlichkeit als auch nach § 20 StGB Schuldunfähigkeit vor, so werden folgende Auffassungen vertreten (Eisenberg, JGG, 8. Aufl. § 3, Rdnr. 36 ff):
1. Dogmatischer Vorrang von § 3 JGG, sodaß bei mangelnder Verantwortungsreife kein Raum mehr für §§ 20, 63 StGB bleibt (Lempp RdJ 1972, 326, 330; Bernsmann, in BMJ 1992, 205, 207 ff, 211 ff; i. E. Ostendorf, JGG, 3. Aufl. § 3 Rdnr. 20), wohl aber für § 3 Satz 2 JGG.
2. Vorrangige Prüfung von § 20 StGB, mit der Folge, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB die Unterbringung angeordnet werden muß und die fehlende Verantwortungsreife nach § 3 gänzlich bedeutungslos wird, da die Unterbringung "nicht nur dem allgemeinen Sicherungsbedürfnis, sondern auch dem Wohl des betroffenen Jugendlichen" am besten dient (BGHSt 26, 67, 70 m. zustim. Anm. Brunner, JR 1976, 116). Nur wenn die Unterbringung nicht nötig ist, sollen erzieherische Maßnahmen gem. § 3 Satz 2 angeordnet werden können (Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl. , § 3 Rdnr. 10; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 3. Aufl. § 3 Rdnr. 29).
3. Wahlmöglichkeit zwischen allen in Betracht kommenden Rechtsfolgen, um die für den Einzelfall gerechteste Maßnahme verhängen zu können (Lenckner in Schönke-Schröder, StGB, 25. Aufl. , § 20 Rdnr. 44; grds. so auch Schaffstein/Beulke, JuStR, 11. Aufl. , § 7 IV, 3 sowie schon Schaffstein ZStW 1965, 191, 194; für eine Nachrangigkeit der Maßregeln des StGB Ostendorf JZ 1986, 664, 668).
Der Senat tritt der erstgenannten Auffassung aus folgenden Erwägungen bei:
Das vom Erziehungsgedanken beherrschte JGG verdrängt als eigenständiges Gesetz für die 14-18jährigen Täter das StGB (§§ 2 JGG, 10 StGB). Seine Sondervo...