Leitsatz (amtlich)
1.
Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil bzw. ein die Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil reicht es aus, wenn die Revision unter Angaben bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (sog. allg. Verfahrensrüge).
2.
Einem Angeklagten steht grundsätzlich kein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht in Form der unmittelbaren Überlassung bzw. Übersendung der Akten an sich selbst zu; einem Akteneinsichtsantrag eines nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten ist jedoch - soweit dies zur angemessenen Verteidigung erforderlich ist - Akteneinsicht durch Erteilen von Auskünften und/oder Abschriften aus den Akten oder durch Gewährung von Akteneinsicht bzw. Ermöglichung der Fertigung von Ablichtungen auf der Geschäftsstelle zu genügen.
3.
Allein die in der Nichtbescheidung eines Akteneinsichtsantrags liegende unrichtige oder unsachgemäße gerichtliche Sachbehandlung reicht zur Annahme einer genügenden Entschuldigung i.S.d. §§ 412 Satz, 329 Abs.1 Satz 1 StPO nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass dem Angeklagten aufgrund der ihm bekannten und erkennbaren Umstände des Einzelfalles darüber hinaus billigerweise kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist.
4.
Die durch § 265 Abs. 4 StPO eröffnete Möglichkeit und Verpflichtung des Gerichts, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, wenn sich in dieser ergibt, das ohne eine unmittelbare oder nach § 147 Abs. 7 StPO erfolgende Einsicht in die Akten eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten nicht möglich ist, stellt eine ausreichende Kompensation zur Herstellung der gebotenen Waffengleichheit vor Gericht i.S.d. Art. 6 Abs.1 MRK und zur Wahrung der Verteidigungsrechte auch des anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten dar.
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts A. vom 15. Mai 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht A. setzte gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung durch Strafbefehl vom 01.06.2006 eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 EUR fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch verwarf das Amtsgericht gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache am 15.02.2007, da der - anwaltlich nicht verteidigte - Angeklagte zur Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war. Seine hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgericht B. mit Urteil vom 15.05.2008.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision. Mit der von ihm erhobenen Verfahrensrüge beanstandet er, dass sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung am 15.02.2007 zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen worden sei.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1.
Die Verfahrensrüge ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben ( § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). An die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gegen ein nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil oder ein solches bestätigendes Berufungsurteil (sog. "allgemeine Verfahrensrüge") sind nämlich grundsätzlich keine strengen Anforderungen zu stellen.
Wird in der Revisionsbegründung unter Angabe bestimmter Tatsachen ausgeführt, das Gericht habe das Fernbleiben nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, bezieht bereits dieser Vortrag den Inhalt des angefochtenen Urteils und dessen Feststellungen zu einem möglichen Entschuldigungsvorbringen unmittelbar in das zu prüfende Revisionsvorbringen mit ein. Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil bzw. ein die Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil reicht es deshalb aus, wenn die Revision unter Angabe bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (OLG München NStZ-RR 2006, 20; OLG Brandenburg NStZ 1996, 249; OLG Düsseldorf VRS 78, 129; OLG Köln VRS 75, 113; OLG Schleswig SchlHA 2002, 171; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl.2009, § 329 Rn. 48 und § 412 Rn. 11; enger: KG NStZ-RR 2002, 218). Hiervon ist vorliegend auszugehen, da der Angeklagte in seiner Revisionsbegründungsschrift ausdrücklich vorträgt, die Strafkammer habe wegen der unzureichenden Berücksichtigung, dass ihm vor der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung trotz entsprechenden Antrags keine Akteneinsicht gewährt worden sei, den Begriff der "nicht genügenden Entschuldigung" verkannt.
2.
Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist damit allein die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei darauf erkannt hat, dass das Amtsgericht A. den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts A. zu Recht gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO verworfen hat. Für die Überprüfung des landgerichtlichen Berufungsurteils durch das Revisionsgericht gelten dabei die gleichen Grundsätze wie bei einer Revision gegen ein Verwerfungsurt...