Entscheidungsstichwort (Thema)
Beratungs- und Aufklärungspflichten einer Bank beim Vertrieb einer festverzinslichen Anleihe mit integriertem Kreditderivat ("Cobold-Anleihe")
Leitsatz (amtlich)
1. Ist die von einer deutschen Bank emittierte festverzinsliche Anleihe mit einem Kreditderivat verknüpft, besteht ein erheblicher Beratungs- und Aufklärungsbedarf über die komplexe Struktur der Anleihe für den Anleger.
2. Die Risiken einer festverzinslichen Anleihe mit integriertem Kreditderivat sind nicht mit den Risiken einer "normalen" festverzinslichen Anleihe vergleichbar. Es besteht ein besonderer Aufklärungsbedarf über diese Risiken auch dann, wenn die für das Kreditderivat maßgeblichen Referenzunternehmen zum Zeitpunkt der Emission der Anleihe ein sehr gutes Rating besitzen (hier: Lehman Brothers Holdings Inc. im Jahr 2007).
3. Der Anleger ist über das Risiko von möglichen Interessenkonflikten aufzuklären, wenn nach den Regelungen in den Anleihebedingungen beim Eintritt eines "Kreditereignisses" Interessenkonflikte der Emittentin in Betracht kommen.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 278 S. 1
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 14.01.2011; Aktenzeichen 3 O 126/10 D) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Konstanz vom 14.1.2011 - 3 O 126/10 D - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 89.257,96 EUR zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung des Depots Nr. 7724149108 Lehman Brothers Hold. Inc. (ISIN-Nr. XS0128857419/WKN 649334) zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 105.800 EUR vom 6.12.2008 bis 17.4.2012,
aus 99.160,86 EUR vom 18.4.2012 bis 1.10.2012,
aus 94.880,19 EUR vom 2.10.2012 bis 4.4.2013 und
aus 89.257,96 EUR ab dem 5.4.2013.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziff. 1 genannten Wertpapiers seit dem 5.12.2008 in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Streithelferin trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren. Im Übrigen trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
IV. Die Beklagte kann eine Vollstreckung des Klägers abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht aus eigenem und aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend, weil er von dieser bei einem Wertpapierkauf am 20.6.2007 fehlerhaft beraten worden sei.
Der Kläger und seine Ehefrau sind seit vielen Jahren Kunden der Beklagten und haben dort erhebliche Teile ihres Kapitalvermögens angelegt. Im Juni 2007 stand ihnen aus einem Hausverkauf ein größerer Betrag zur Verfügung, der angelegt werden sollte. Im Hinblick auf eine mögliche Geldanlage wurde ein Beratungstermin in den Räumlichkeiten der Beklagten vereinbart. Der Termin fand am 20.6.2007 statt. Der Zeuge H., ein Mitarbeiter der Beklagten, empfahl den Erwerb einer Anleihe ..... Cobold Plus E4456, die bei Fälligkeit am 25.6.2009 zu 109,25 % zurückgezahlt werden sollte. Emittentin der Anleihe war die Streithelferin. Der Kläger und seine Ehefrau folgten dieser Empfehlung und erwarben Wertpapiere dieser Anleihe zum Preis von 100.000 EUR (Kurswert identisch mit dem Nennwert). Die Beklagte übernahm diese Papiere in das Depot, welches sie für den Kläger und seine Ehefrau führte.
Es handelte sich bei der Anleihe der Streithelferin um eine sog. synthetische Anleihe, bei der die Rückzahlung des Kapitals zum Fälligkeitsdatum davon abhängig sein sollte, dass bis zum Fälligkeitsdatum bei insgesamt fünf verschiedenen US-Banken kein sog. "Kreditereignis" eingetreten war. Zu diesen Banken gehörte u.a. Lehman Brothers Holdings Inc. (im Folgenden abgekürzt: Lehman Brothers).
Mit Schreiben vom 6.11.2008 (Anlage K 8) teilte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau mit, "nach Feststellung der Emittentin" sei in Bezug auf das Referenzunternehmen Lehman Brothers das Kreditereignis "Insolvenz" eingetreten. Entsprechend den Bedingungen der erworbenen Anleihe lieferte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau Wertpapiere einer Schuldverschreibung der Lehman Brothers zum Nennwert von 100.000 EUR. Die Verpflichtung der Streithelferin zur Rückzahlung der Cobold-Anleihe zum Fälligkeitszeitpunkt wurde - gemäß den Anleihebedingungen - durch die Lieferung dieser Schuldverschreibung ersetzt. Die Lehman Brothers-Schuldverschreibungen hatten am 24.11.2008 einen Kurswert von lediglich 7.500 EUR (vgl. die Anlage K 10). Schadensersatzforderungen des Klägers wurden in der Folgezeit von der Beklagten abgelehnt.
Am 6.8.2009 trat die Ehefrau des Klägers alle ihr zustehenden Ansprüche aus dem Erwerb der Cobold-Anleihe vom 20.6.2007, insbesondere Schadensersatzansprüche auf Grund Falschberatung, an den Kläger ab (vgl. die Anlage K 1).
Der Kläger ha...