Leitsatz (amtlich)
Der Schadensersatzanspruch des Art. 5 Abs. 5 EMRK kann gegen das Bundesland geltend gemacht werden, dessen Gerichte die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 67d StGB i.d.F. von 1998 angeordnet und dessen Beamte diese Anordnung vollzogen haben.
Normenkette
EMRK Art. 5; StGB § 67d
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 24.04.2012; Aktenzeichen 2 O 278/11) |
Tenor
1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 24.4.2012 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das beklagte Land.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von dem beklagten Land immateriellen Schadensersatz wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung.
Gegen den am 1985 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilten Kläger wurde nach Verbüßung von Strafhaft ab dem 1989 Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Freiburg vollstreckt. Nach der zum Zeitpunkt der Verurteilung des Klägers geltenden Gesetzeslage durfte die erstmals angeordnete Unterbringung zur Sicherungsverwahrung die Dauer von 10 Jahren nicht überschreiten (§ 67d Abs. 1 StGB a.F.). Mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31.1.1998 (BGBl. I, 160), wurde die Höchstfrist aufgehoben und bestimmt, dass die Sicherungsverwahrung auch nach Ablauf von 10 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen weiter vollzogen werden kann. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wurde von der zuständigen Strafvollstreckungskammer bejaht und der Kläger gem. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB (i.d.F. von 1998) auch am 1999 nicht aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Das Fortbestehen der Unterbringungsvoraussetzungen überprüfte und bejahte die Strafvollstreckungskammer in der Folge in regelmäßigen Abständen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens mit Urteil vom 17.12.2009 (19359/04), dass die Änderung des § 67d Abs. 3 StGB (i.d.F. von 1998) mit dem Freiheitsrecht nach Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Rückwirkungsverbot aus Art. 7 EMRK nicht vereinbar sei. Die Entscheidung wurde am 10.5.2010 rechtsgültig.
Gegen die zuletzt mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16.8.2010 angeordnete Fortdauer seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung legte der Kläger sofortige Beschwerde ein. Auf die Beschwerde hob das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 12.10.2010 den angefochtenen Beschluss auf und stellte die Erledigung der Sicherungsverwahrung sowie den Einritt von Führungsaufsicht fest. Der Kläger wurde noch am 12.10.2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen.
Mit Urteil vom 4.5.2011 (Urt. v. 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08, BVerfGE 128, 326-409), erklärte das BVerfG die gesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot in Verbindung mit dem Freiheitsgrundrecht für verfassungswidrig.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ab dem 4.12.1999 vollzogene Sicherungsverwahrung sei unter Verletzung des Abstandsgebots erfolgt und rechtswidrig gewesen. Vollzugsöffnende Maßnahmen seien nur unzureichend durchgeführt worden. Ihm stehe für die Dauer seiner unrechtmäßigen Inhaftierung vom 1999 bis 2010 (3.956 Hafttage) aus Amtspflichtverletzung ein Schmerzensgeld zu, das mit 25 EUR pro Tag entsprechend der Haftentschädigung für unberechtigte Haft zu bemessen sei.
Der Kläger hat beantragt:
Das beklagte Land wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schmerzensgeldbetrag festzusetzen und diesen ab dem 8.10.2010 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, mindestens jedoch 98.900 EUR an den Kläger zu bezahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat bestritten, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung unter Verstoß gegen das Abstandsgebot erfolgt sei und den Vortrag des Klägers zu vollzugsöffnenden Maßnahmen als unsubstantiiert gerügt. Es hat die Auffassung vertreten, ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i.V.m. 34 GG stehe dem Kläger nicht zu, da trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit Entscheidungen zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung nicht als schuldhaft amtspflichtwidrig bewertet werden könnten. Auch auf Art. 5 Abs. 5 EMRK könne der Kläger einen Schadensersatzanspruch nicht stützen. Die erforderliche Feststellung der Verletzung des Freiheitsrechts sei frühestens durch den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 12.10.2010 erfolgt, so dass nur der darüber hinausgehende Vollzug de...