Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Frage, ob ein Verfahren gem. § 198 GVG unangemessen lange gedauert hat, ist stets eine Einzelfallbetrachtung geboten. Wird eine erstmalige Verzögerungsrüge bereits neun Monate nach Anhängigkeit erhoben, ist diese unbeachtlich. Auch der Umstand, dass ein Verfahren bei Erhebung der zweiten Verzögerungsrüge bereits fast drei Jahre anhängig war, verhilft dieser noch nicht per se zur Wirksamkeit. Auch eine knapp vier Jahre nach Anhängigkeit erhobene dritte Verzögerungsrüge ist noch nicht aus sich heraus beachtlich.
2. In Fällen, in denen trotz dreier Verzögerungsrügen keine von diesen wirksam erhoben wurde, kommt bei einem 7 1/2 Jahre dauernden Erbrechtsstreit gleichwohl die Feststellung der Überlänge gem. § 198 Abs. 4 GVG durch das Entschädigungsgericht in Betracht.
Tenor
1. Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahrens vor dem Amtsgericht Bruchsal, 6 C 88/11, wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor dem Amtsgericht Bruchsal, 6 C 88/11, unangemessen verzögert ist.
3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Streitwert wird auf bis zu 1.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Amtsgericht Bruchsal, 6 C 88/11 (im Folgenden: Ausgangsverfahren).
Der Kläger ist der Bruder der am 11.11.2009 verstorbenen G. T., die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Schwester) seine Schwester. Der Kläger und seine Schwester sind gemeinsam mit den weiteren Geschwistern Helga Truckenbrodt und Dr. I. D. Mitglieder einer Erbengemeinschaft nach Ableben von Frau G. T. Über deren Nachlass wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 02.12.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Frau H. T. hat eine Erstberatung durch eine Rechtsanwaltskanzlei K.-E. u. Kollegen, Berlin in Anspruch genommen.
Mit am 16.12.2011 beim Amtsgericht Bruchsal eingegangenem Schreiben hat der Kläger Klage auf Auskunft und Rechnungslegung gegen seine Schwester erhoben. Die Schwester sei verpflichtet, über die von ihr von der Erbengemeinschaft nach G. T. bei der Rechtsanwaltskanzlei K.-E. in Auftrag gegebene Erstberatung Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen.
Die Klage ging ohne Vorschuss beim Amtsgericht ein. Mit Verfügung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 23.12.2011 hat das Amtsgericht einen Kostenvorschuss angefordert, der am 03.01.2012 eingezahlt wurde.
Mit Verfügung vom 16.01.2012 hat das Amtsgericht durch Richter F. die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet.
Die Klage und die Verfügung wurden der Schwester am 19.01.2012 zugestellt.
Mit am 27.01.2012 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat die Schwester zu der Klage Stellung genommen.
Mit am 30.01.2012 ausgefertigter Verfügung vom 28.01.2012 wurde die Klageerwiderung dem Kläger zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt.
Am 02.02.2012 ging die Stellungnahme des Klägers beim Amtsgericht ein, die der Schwester mit Verfügung vom 09.02.2012, ausgefertigt am selben Tag, zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt wurde.
Am 20.02.2012 ging eine weitere Stellungnahme der Schwester beim Amtsgericht ein, die mit am 05.04.2012 ausgefertigter Verfügung vom 04.04.2012 dem Kläger zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt wurde. Am selben Tag wurde der Schwester ein beim Amtsgericht am 04.03.2012 eingegangenes Schreiben vom 03.03.2012 des Klägers zur Kenntnisnahme übersandt.
Mit am 07.04.2012 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben des Klägers vom 05.04.2012 hat dieser weiter vorgetragen und darum gebeten, dem Verfahren den Fortgang zu geben. Mit Verfügung vom 06.07.2012, ausgefertigt am 09.07.2012, hat das Amtsgericht angekündigt, eine prozessleitende Verfügung in der 29. Kalenderwoche zu erlassen.
Mit am 16.04.2012 eingegangenem Schriftsatz vom 12.04.2012 hat der Insolvenzverwalter betr. den Nachlass von Frau G. T. Akteneinsicht beantragt.
Mit am 11.07.2012 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom selben Tag hat die Schwester Klagabweisung beantragt.
Das Schreiben wurde dem Kläger mit am 24.07.2012 ausgefertigter Verfügung vom 23.07.2012 zur Stellungnahme binnen drei Wochen übersandt. Gleichzeitig wurde dem Insolvenzverwalter mitgeteilt, dass nicht ersichtlich sei, dass das Ausgangsverfahren zur Insolvenzmasse gehöre.
Mit am 31.07.2012 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger die Überlassung von Anlagen der Klageerwiderung beantragt.
Mit Verfügung vom 01.08.2012, ausgefertigt am 03.08.2012, hat das Amtsgericht dem Kläger aufgegeben mitzuteilen, welche Anlagen er als fehlend moniere.
Der Kläger hat mit weiterem Schreiben vom 07.08.2012 "Antrag nach § 299 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO" gestellt.
Mit Verfügung vom 14.08.2012, ausgefertigt am 14.08.2012, hat das Amtsgericht erneut aufgegeben mitzuteilen, welche Anlagen gewünscht würden.
Mit am 03.09.2012 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger an seinen Antrag vom 31.07.2012 erinnert. Mit ...