Leitsatz (amtlich)
1. Vor Auswahl des Pflichtverteidigers ist der Beschuldigte auch dann gem. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO anzuhören, wenn sich die Notwendigkeit der Verteidigung aus § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ergibt.
2. Dabei ist der besonderen Situation des oftmals überraschend und gerade eben in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten Rechnung zu tragen.
3. Verzichtet er bei Verkündung des Haftbefehls auf die Ausübung seines Wahlrechts kann es fraglich sein, ob er sich bei Abgabe seiner Erklärung deren Bedeutung, Bindungswirkung und Tragweite tatsächlich bewusst war.
4. Fehlt es an der gebotenen Mitwirkungsmöglichkeit eines Beschuldigten bei der Auswahl des Verteidigers darf er nicht an der Bestellung des Pflichtverteidigers, der ihm zeitgleich mit der Verkündung des Haftbefehls beigeordnet wurde, festgehalten werden. Dieser ist auch dann zu entpflichten und ein vom Beschuldigten gewählter Verteidiger beizuordnen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem früheren Verteidiger nicht bestehen.
Verfahrensgang
LG Trier (Entscheidung vom 12.01.2011) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 5. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 12. Januar 2011 aufgehoben.
Auf Antrag des Angeschuldigten wird die Bestellung von Rechtsanwältin S. in T. als Pflichtverteidigerin aufgehoben und Rechtsanwältin F. in T. zur neuen Pflichtverteidigerin bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I. Das Amtsgericht Trier erließ gegen den Angeschuldigten am 3. September 2010 Haftbefehl wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mindestens fünf Fällen (35 Gs 2401/10). Die Verkündung des Haftbefehls erfolgte am Vormittag des 9. September 2010. Die Festnahme des Angeschuldigten war um 9.10 Uhr desselben Tages erfolgt. Im Anschluss an die Verkündung ordnete der Ermittlungsrichter den Vollzug des Haftbefehls an und bestellte gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO Rechtsanwältin S. in T. zur Pflichtverteidigerin (Bl. 414 d. A.). Am 13. September 2010 bestellte sich Rechtsanwältin F. in T. als Verteidigerin für den Angeschuldigten (Bl. 420 d. A.). Mit Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 19. September 2010 (Bl. 502 d. A.), 25. September 2010 (Bl. 503 d. A.), 5. Oktober 2010 (Bl. 504 d. A.) und 12. Oktober 2010 (Bl. 510 d. A.) erklärte der Angeschuldigte, "seine Rechtsanwältin" sei Rechtsanwältin F.. Rechtsanwältin S. habe er nicht ausgesucht und nicht gewünscht. Er habe kein Vertrauen zu ihr und lehne sie ab. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 (Bl. 507 d. A.) beantragte Rechtsanwältin F. namens und im Auftrag des Angeschuldigten, die Beiordnung von Rechtsanwältin S. aufzuheben und an deren Stelle nunmehr sie selbst beizuordnen. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeschuldigten und Rechtsanwältin S. sei "endgültig und nachhaltig erschüttert". Mit Beschluss vom 27. Oktober 2010 wies das Amtsgerichts Trier den Antrag zurück, da ein wichtiger Grund für die Auswechslung nicht gegeben sei.
Unter dem 23. November 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur 5. Strafkammer des Landgerichts Trier
Am 3. Dezember 2010 legte Rechtsanwältin F. gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Oktober 2010 Beschwerde ein und wiederholte ihre am 20. Oktober 2010 gestellten Anträge (Bl. 545 d. A.). Unter dem 6. Dezember 2010 und 7. Dezember 2010 (Bl. 548, 553 d. A.) nahm Rechtsanwältin S. hierzu Stellung und teilte mit, dass der Angeschuldigte zwischenzeitlich wieder ihre Besuche in der Justizvollzugsanstalt wünsche. Mit Schreiben an den Strafkammervorsitzenden vom 9. Dezember 2010 erklärte der Angeschuldigte nunmehr, "seine Anwältin" sei Rechtsanwältin S.. Zu dieser habe er großes Vertrauen (Bl. 554 d. A.). In seinem von Rechtsanwältin F. am 10. Dezember 2010 zu den Akten gereichten Schreiben vom 8. Dezember 2010 (Bl. 556, 557 d. A.) hatte er hingegen noch von Rechtsanwältin F. verteidigt werden wollen. Auch in den nachfolgenden Schreiben vom 15. Dezember 2010 (Bl. 574 d. A.) und 16. Dezember 2010 (Bl. 576 d. A.) bekundete er, mit Rechtsanwältin F. zusammenarbeiten zu wollen. In Anbetracht der widersprüchlichen Äußerungen des Angeschuldigten beraumte der mit der Anklageerhebung für die Pflichtverteidigerbestellung zuständige Strafkammervorsitzende Termin zur mündlichen Anhörung auf den 5. Januar 2011 an (Bl. 575 d. A.), in welchem mit den Beteiligten die Umstände der Beiordnung von Rechtsanwältin S. am 9. September 2010 erörtert wurden (Bl. 600 d. A.). Der Angeschuldigte erklärte hierbei abschließend, er wolle nur noch von Rechtsanwältin F. verteidigt werden (Bl. 604 d. A.).
Mit Beschluss vom 12. Januar 2011 hat der Strafkammervorsitzende den Antrag des Angeschuldigten vom 3. Dezember 2010 auf Entpflichtung von Rechtsanwältin S. und auf Beiordnung von Rechtsanwältin F. zurückgewiesen, da eine ernsthafte Störung d...