Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwer des Beklagten, der zur Löschung drei Jahre alter E-Mails von seiner Internetseite verurteilt worden ist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Interesse eines gewerblichen Unternehmers an der Löschung drei Jahre alter geschäftsschädigender E-Mails von der Internetseite eines Privatmannes, kann dessen Beschwer durch ein entsprechendes Unterlassungsurteil um mehr als das 10 - fache übersteigen. Außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses gibt es keinen Erfahrungssatz dahin, dass das Interesse des Unterlassungsklägers mit der Beschwer des verurteilten Beklagten identisch ist (hier: Streitwert 7.500 EUR, Wert der Beschwer des Beklagten 500 EUR).

2. Ist Gericht erster Instanz ersichtlich davon ausgegangen, die Beschwer der unterlegenen Partei übersteige 600 EUR, und hat es deswegen keine Prüfung der Zulassung der Berufung vorgenommen, so hat das Berufungsgericht, bevor es das Rechtsmittel mangels ausreichender Beschwer als unzulässig verwirft, diese Zulassungsprüfung nachzuholen.

 

Normenkette

GG Art. 1-2, 5, 19 Abs. 4; BGB §§ 823, 1004; ZPO §§ 3, 511 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 03.02.2014; Aktenzeichen 2 O 243/13)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 13.01.2015; Aktenzeichen VI ZB 29/14)

 

Tenor

1. Der Wert der Beschwer des Beklagten durch das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 3.2.2014 wird auf 500 EUR festgesetzt.

2. Eine Berufung gegen das genannte Urteil wird nicht zugelassen (§ 511 Abs. 4 ZPO).

3. Die eingelegte Berufung wird auf Kosten des Beklagten verworfen.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 7.500 EUR.

 

Gründe

I. Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen ein Urteil des LG Mainz, durch das ihm untersagt worden ist, im Internet weiterhin E - Mails zum Abruf durch beliebige Dritte bereitzustellen, die der Kläger im April 2010 an den Beklagten gesandt hatte. Dem liegt im Einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der deutschstämmige Kläger betreibt in Kanada ein Unternehmen, das sich mit der Vermietung von Wohnmobilen an Touristen vorwiegend aus deutschsprachigen Ländern befasst.

Der Beklagte, der in der Schweiz bei einer Versicherung arbeitet, betreibt nebenbei die Internetseite www.t.de. Dort veröffentlicht er Informationen zu Reisen und Reiseveranstaltern.

Anfang 2010 erkundigte der Beklagte sich per E - Mail beim Kläger nach den Konditionen für die Anmietung eines Wohnmobils. Das mündete in Unstimmigkeiten, insbesondere wegen der Preisgestaltung des Klägers. Das veranlasste den Beklagten, zwei E - Mails des Klägers wortwörtlich auf der von ihm betriebenen Internetseite zu veröffentlichen bzw. zu verlinken.

Der Hinweis des Klägers, dass er damit nicht einverstanden sei, blieb ebenso unbeachtet wie die Aufforderung, die beiden E-Mails zu entfernen und die wörtliche Veröffentlichung künftig zu unterlassen.

Der dahin zielenden Klage ist der Beklagte mit der Auffassung entgegen getreten, sein Recht auf freie Meinungsäußerung legitimiere die Veröffentlichung gleichermaßen wie das Interesse anderer Reiseinteressenten, über Missstände im Unternehmen des Klägers informiert zu werden.

Dem ist das LG nicht gefolgt und hat den Beklagten verurteilt, die Bereitstellung der beiden E - Mails im Internet zum Abruf durch jedermann zu unterlassen. Dazu sei der Beklagte nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 1 und 2 Abs. 1 GG verpflichtet. Das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung ermächtige ihn, ausschließlich selbst darüber zu befinden, wer (außer dem Beklagten als Adressaten) die E - Mails wortwörtlich lesen dürfe. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers sei auch deshalb verletzt, weil der Beklagte der Veröffentlichung im Internet den vollständigen Namen und die E - Mail Adresse des Klägers beigefügt habe. Im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung bedürfe es einer Interessenabwägung, die trotz des geschäftlichen Charakters der beiden Mails hier zugunsten des Klägers ausfalle, insbesondere weil in der Veröffentlichung unter Wiedergabe sämtlicher Rechtschreibfehler und sprachlichen Besonderheiten die Absicht des Beklagten zutage trete, den Kläger nicht nur geschäftlich zu schädigen, sondern darüber hinaus der Lächerlichkeit preiszugeben. Den Boden der von jedem Geschäftsmann hinzunehmenden objektiven Kritik habe der Beklagte verlassen, weil man über den Inhalt des Geschäftsangebots des Klägers ebenso wenig erfahre wie über den Inhalt der eigenen E - Mails des Beklagten, die seinerzeit die Reaktion des Klägers ausgelöst hätten. Letztlich erschließe sich auch nicht, welches Interesse der Beklagte noch an der Weiterverbreitung einer nunmehr annähernd 4 Jahre zurückliegenden Reaktion des Klägers auf die damalige Beanstandung seitens des Beklagten habe.

Mit der dagegen gerichteten Berufung hält der Beklagte nach Maßgabe seiner Berufungsbegründung vom 20.3.2014, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, am Klageabweisungsantrag fest. Er sieht insbesondere sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Der Berichterstatter des Senats hat den Bekla...

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