Leitsatz (amtlich)
§ 406g StPO ist im Jugendstrafverfahren anwendbar.
Tenor
Auf die Beschwerde des Tatopfers wird der Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 7. Februar 2000 aufgehoben.
Dem Tatopfer wird Rechtsanwältin Lossen, Beethovenplatz 1, 53115 Bonn, als Beistand bestellt.
Es wird davon abgesehen, die Kosten und die notwendigen Auslagen des Tatopfers im Beschwerdeverfahren dem Verurteilten aufzuerlegen.
Gründe
I.
Durch Urteil vom 13. Dezember 1999 hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Koblenz - als Jugendkammer - gegen den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes eine Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten festgesetzt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Bereits mit Schreiben vom 17. Juni 1999 hatte sich Rechtsanwältin Lossen für das Tatopfer bestellt und ihre Beiordnung gemäß §§ 406 g Abs. 1 und 3, 397 a Abs. 1 StPO beantragt. Diesen Antrag hat die Jugendkammer durch Beschluss vom 7. Februar 2000 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Tatopfers, der die Jugendkammer nicht abgeholfen hat.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Die Frage, ob § 406 g StPO im Jugendstrafverfahren anwendbar ist, ist umstritten. In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei nicht anwendbar (LR-Hilger StPO 11. Aufl. vor § 406 d Rdnr. 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 406 g Rdnr. 5; KMR-Stöckel, StPO vor § 406 d Rdnr. 6; Eisenberg JGG 4. Aufl. § 80 Rdnr. 13; Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl. § 48 Rdnr. 17; Rieß/Hilger NStZ 1987, 145, 153 Fußnote 193; Schaal/Eisenberg NStZ 1988, 49, 51; Kaster MDR 1994, 1073, 1076; a. A. Stock MschrKrim 1987, 352, 359; weitere Nachweise bei LR-Hilger, a. a. 0. ; vgl. auch Kintzi DRiZ 1998, 65, 73, 74 zur Auffassung der großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes). Soweit ersichtlich, liegt eine - veröffentlichte - Gerichtsentscheidung nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn ein Gericht aus § 80 Abs. 3 JGG folgert, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den beigeordneten Beistand des nebenklageberechtigten Verletzten im Verfahren gegen Jugendliche nicht vorgesehen ist(Beschluss vom 16. Dezember 1991 - 2 BvR 1733/91 -).
2.
Der Senat hält die Anwendung der Vorschrift im Verfahren gegen Jugendliche aufgrund des Schutzweckes des Opferschutzgesetzes für geboten.
a) §§ 406 d bis 406 h StPO, und damit auch § 406 g StPO, sind durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 in die StPO eingefügt worden. Zu dem Zweck des Gesetzes führt Hilger, a. a. 0. , Rdnr. 3 und 4 aus:
"Ziel der Bestimmungen ist, dem durch eine rechtswidrige Tat Verletzten (Rdn. 8) eine mit den Zwecken des Strafprozesses vereinbare, die Wahrheitsfindung und die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten nicht beeinträchtigende, verfahrensrechtlich gesicherte Rechtsposition, insbesondere Beteiligungsbefugnis zu verschaffen, die seinem Schutz und der Wahrnehmung seiner Interessen dient und es ihm - nach seiner eigenen, freien Entscheidung - erlaubt und ermöglicht, seine Interessen im Verfahren darzustellen, zu vertreten und zu verteidigen, und ihm Möglichkeiten zur Abwehr von Verantwortungszuweisungen einräumt. Dazu gehört auch die Verbesserung der zur Interessen- und Rechtswahrnehmung erforderlichen Informationsmöglichkeiten und das Recht zur Hinzuziehung eines fachkundigen Beistandes.
Die Bestimmungen ermöglichen damit insbesondere einen Schutz solcher Verletzter, für die das Verfahren eine besondere Belastung sein kann, etwa von Kindern, die mißhandelt oder mißbraucht worden sein sollen, oder von älteren Menschen, damit sie durch die Verfahrensbelastungen nicht (erneut) "Opfer" werden, insbesondere nicht Sekundärverletzungen erleiden durch das legitime Bemühen aller Verfahrensbeteiligten um Wahrheitsfindung. So kann z. B. der Verletzte über seinen Beistand klären lassen, ob es zweckmäßig ist, von einem ihm ggf. zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Der Verletztenbeistand kann auf eine kommissarische Vernehmung des Verletzten (§ 223) und Verlesung der Aussage (§ 251) in der Hauptverhandlung hinwirken, ebenso auf die Beachtung von § 241 a, die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung (§ 247) und den Ausschluss der Öffentlichkeit (§§ 171 b, 172 GVG). Der Verletztenbeistand kann außerdem darauf hinwirken, dass der Verletzte möglichst wenig und möglichst schonend (vgl. §§ 238 Abs. 2, 242) vernommen wird, auch daß Beweise im Ermittlungsverfahren möglichst optimal erhoben und gesichert werden, damit der Verletzte nicht alleiniges oder Haupt-Beweismittel des Verfahrens ist; er kann namentlich um eine Nutzung der Vorschriften zur Bild-Ton-Aufzeichnung oder -Übertragung der Vernehmung (§§ 58 a, 168 e, 247 a, 255 a) bemüht sein. Schließlich kann er in geeigneten Fällen auf die Erhebung der Anklage vor der Strafkammer hinwirk...