Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständiges Beweisverfahren in Arzthaftungssachen

 

Leitsatz (amtlich)

Ergänzenden Fragen zur medizinischen Bewertung eines Behandlungsvorgangs ist in einem selbständigen Beweisverfahren bei einem rechtzeitig gestellten Antrag einer Partei auf Ergänzung des Gutachtens nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs grundsätzlich nachzugehen, auch wenn das Gericht die bisherige Begutachtung für ausreichend hält.

Ein rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens kann fehlen, wenn evident ist, dass der behauptete Anspruch nicht bestehen kann (vgl. BGH, NJW 2004, 3488). Eine solche Sachlage kann mit Blick auf eine grundsätzlich nach § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO eröffnete Begutachtung des Schadensumfangs vorliegen, wenn die Begutachtung zum Anspruchsgrund zweifelsfrei unergiebig für den Antragsteller verlaufen ist und auch im Übrigen zur Begründung des Anspruchs keine Anhaltspunkte angeführt werden.

 

Normenkette

ZPO § 485

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 14.07.2016; Aktenzeichen 2 OH 19/14)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 14.7.2016 teilweise aufgehoben, soweit darin ein Fortgang des selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich des Einwands des Antragstellers zur Möglichkeit einer histologischen "Schnelluntersuchung" der Plazenta sowie der Einholung eines kinderkardiologischen Zusatzgutachtens abgelehnt wurde. Insofern werden die weiter erforderlichen Anordnungen dem LG übertragen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die für das Beschwerdeverfahren anzusetzende Gebühr nach Ziff. 1812 VV-GKG wird auf die Hälfte ermäßigt. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist begründet, soweit der Antragsteller sich gegen den abgelehnten Fortgang des selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich seines Einwandes, es habe eine histologische "Schnelluntersuchung" der Plazenta erfolgen müssen, wendet.

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass sich das Ziel der Herbeiführung oder Vorbereitung einer umfassenden Streiterledigung durch ein selbständiges Beweisverfahren nur dann erreichen lässt, wenn Streitfragen frühzeitig, konzentriert und umfassend geklärt werden. Daher sind Ergänzungsfragen nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs bei einem rechtzeitig gestellten Antrag einer Partei auf Ergänzung des Gutachtens grundsätzlich stattzugeben, auch wenn das Gericht die bisherige Begutachtung für ausreichend hält (vgl. aktuell etwa OLG Schleswig, NJW-RR 2016, 994 m.w.N.). Vorliegend weist das LG in der angefochtenen Entscheidung zwar zu- treffend darauf hin, der Sachverständige habe das gegebenenfalls unterbliebene Unter- lassen einer histologischen Untersuchung der Plazenta nicht als Behandlungsfehler angesehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige insoweit auf die zeitliche Komponente abgestellt und darauf verwiesen hat, bis zum Vorliegen der histologischen Untersuchungsergebnisse vergingen in aller Regel mehrere Arbeitstage. Aufgrund dieses zeitlichen Zusammenhangs hätte sich auch bei einer histologischen Untersuchung keine Veränderung der medizinischen Betreuung des Antragstellers ergeben. Der vom Antragsteller hiergegen erhobene Einwand versucht, diesen zeitlichen Aspekt zu entkräften, indem die Möglichkeit einer histologischen Schnelluntersuchung binnen weniger Minuten als erforderliche Behandlungsmaßnahme eingefordert wird. Mit diesem medizinischen Gesichtspunkt hat sich der Sachverständige noch nicht auseinandersetzen können.

Aufgrund des insoweit bestehenden Aufklärungsbedarfs hat die sofortige Beschwerde auch hinsichtlich der Frage, ob es der Hinzuziehung eines Kinderkardiologen bedarf, einen vorläufigen Erfolg. Zutreffend führt das LG in der angefochtenen Entscheidung aus, dass die vom Antragsteller ins Feld geführte Empfehlung des Sachverständigen, einen Kinderkardiologen hinzuzuziehen, lediglich die grundsätzlich nach § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO eröffnete Begutachtung des Schadensumfangs betrifft. Ebenfalls zutreffend führt das LG an, dass bei fehlender Feststellung von Anhaltspunkten für einen Behandlungsfehler in der Begutachtung des selbständigen Beweisverfahrens ein Wegfall des rechtlichen Interesses nach § 485 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der Begutachtung des Schadensumfangs in Betracht kommen kann. Zwar ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, zur Beurteilung des rechtlichen Interesses eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Allerdings kann ein rechtliches Interesse dann fehlen, wenn evident ist, dass der behauptete Anspru...

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