Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung für Falschbegutachtung bei Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich; keine Garantenstellung des medizinischen Sachverständigen zur Gesundheitsfürsorge
Leitsatz (amtlich)
1. Der gerichtliche Sachverständige haftet nur dann für eine falsche Begutachtung, wenn die von ihm mitgeteilten Erkenntnisse Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung geworden sind. Mangels Regelungslücke scheidet eine analoge Anwendung von § 839a BGB auch dann aus, wenn unter dem Druck eines ungünstigen Falschgutachtens ein später als unangemessen empfundener Vergleich geschlossen wird. In derartigen Fällen ist eine Schadensersatzpflicht des Gerichtsgutachters allenfalls unter den engen Voraussetzungen des § 826 BGB denkbar.
2. Muss der gerichtliche Sachverständige in Vorbereitung seines medizinischen Gutachtens den Anspruchsteller körperlich untersuchen, ist er weder bei der Befunderhebung noch bei den daran anknüpfenden Schlussfolgerungen verpflichtet, Behandlungserfordernisse aufzuzeigen oder Therapieempfehlungen zu geben. Daher können Versäumnisse in diesem Bereich nicht zur Schadensersatzhaftung des Gutachters führen.
Normenkette
BGB §§ 276, 280, 839a, 823 Abs. 2, § 826; StGB §§ 13, 229
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 01.12.2014; Aktenzeichen 4 O 83/14 (2)) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Trier vom 1.12.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.
Rechtsmittelstreitwert: 117.113,50 EUR
Gründe
Die Entscheidung ergeht gem. §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, dem Senatsbeschluss vom 3.2.2015. Dort hat der Senat mitgeteilt:
"1. Der Kläger ist der Witwer Theresia R's, die am 20.7.2014 an den Folgen einer Leberzirrhose verstarb. Theresia R. war bis in das Jahr 2002 berufstätig gewesen und dabei kontinuierlich mit Lacken in Berührung gekommen. Die damit verbundenen inhalativen und dermalen Belastungen hatten sie ihrer Auffassung nach arbeitsunfähig werden lassen.
Gestützt auf dahingehende gutachterliche Einschätzungen, erstrebte sie deshalb die Anerkennung einer toxischen Polyneuropathie oder Enzephalopathie als Berufskrankheit und erhob mit Schriftsatz vom 23.5.2008 eine entsprechende Klage vor dem Sozialgericht. Am 26.5.2009 erging ein abweisendes Urteil. Darin hieß es, die geltend gemachten Erkrankungen seien nicht festzustellen. Grundlage für die Entscheidung war im Wesentlichen ein neuropsychologisches Sachverständigengutachten des Beklagten zu 1. vom 16.12.2008, das seinerseits an eine neurologische Stellungnahme der Beklagten zu 2. vom 16.11.2008 anknüpfte.
Theresia R. griff das Urteil mit der Berufung an. Das Rechtsmittelverfahren endete am 8.3.2010 durch einen Vergleich. Darin erkannte Theresia R. an, dass die Voraussetzungen zur Feststellung einer Berufskrankheit nicht vorlägen. Im Gegenzug verzichtete die beklagte Berufsgenossenschaft auf die Rückforderung einer Rentenvorschussleistung von 6.000 EUR, die sie bereits gewährt hatte.
In dem vorliegenden, noch von Theresia R. eingeleiteten Rechtsstreit hat der Kläger als Miterbe Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten erhoben. Er hat sie gesamtschuldnerisch dafür verantwortlich gemacht, dass das sozialgerichtliche Verfahren nicht zum Erfolg geführt habe. Sie hätten den Prozess, der eigentlich zugunsten von Theresia R. hätte entschieden werden müssen, durch die Erstattung grob fahrlässig und sogar vorsätzlich falscher Gutachten beeinflusst, so dass schließlich der gänzlich interessenwidrige Vergleich vom 8.3.2010 habe geschlossen werden müssen. Außerdem sei dem Beklagten zu 1. vorzuwerfen, dass er im Zuge einer sein Gutachten vorbereitenden körperlichen Untersuchung die Leber Theresia R's nicht ertastet und deshalb im Hinblick auf deren zirrhotische Erkrankung keine präventiven Maßnahmen veranlasst habe. Daher sei er für deren Tod verantwortlich, der bei ihm, dem Kläger, einen "Schockschaden" und auch finanzielle Nachteile ausgelöst habe.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, zum Ausgleich entgangener Rentenleistungen, die Theresia R. bei einem erfolgreichen Ausgang des gegen die Berufsgenossenschaft geführten Prozesses erhalten hätte, an die Erbengemeinschaft 107.937,45 EUR zu zahlen und außerdem zur Bestreitung vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten 4.051,95 EUR aufzubringen. Darüber hinaus sei die weiter gehende Haftung der Beklagten gegenüber der Erbengemeinschaft festzustellen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen der streitigen Gutachten scheide aus. § 839a BGB sei, da der Rechtsstreit vor den Sozialge...