Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachverständigenanhörung im selbständigen Beweisverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, innerhalb welcher Frist Einwendungen gegen ein schriftliches Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren vorzubringen sind.
2. Die von der Rechtsprechung für das Erkenntnisverfahren entwickelten Grundsätze zur Anhörung eines Sachverständigen von Amts wegen lassen sich nicht auf das selbständige Beweisverfahren übertragen.
Normenkette
ZPO § 411 Abs. 4, § 485
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 16.02.2006; Aktenzeichen 9 OH 13/02) |
Tenor
In dem selbständigen Beweisverfahren wird die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Mainz vom 16.2.2006 zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 149.865,70 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, der das LG mit Beschluss vom 22.3.2006 nicht abgeholfen hat, ist in der Sache ohne Erfolg.
1. Das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen R. ist den Beteiligten mit Verfügung vom 24.8.2005 zugestellt worden. Zugleich wurde eine Frist von drei Wochen gesetzt, innerhalb derer zum Gegenstandswert Stellung genommen werden konnte. Die Antragsgegnerin bat mit Schriftsatz vom 8.9.2005 die Stellungnahmefrist hinsichtlich des Ergänzungsgutachtens bis zum 4.10.2005 zu verlängern. Diese Fristverlängerung wurde gewährt. Danach beantragte die Antragsgegnerin eine weitere Fristverlängerung um einen Monat und stellte eine Stellungnahme zum Ergänzungsgutachten in Aussicht, sobald das in Auftrag gegebene Privatgutachten vorliege.
Das LG setzte den Gegenstandswert fest und rechnete mit dem Sachverständigen ab.
Danach und zwar mit Schriftsatz vom 30.1.2006 beantragte die Antragsgegnerin unter Vorlage einer Stellungnahme des TÜV Rheinland vom 13.12.2005 die "mündliche Erörterung des Gutachtens" durch den Sachverständigen. Diesen Antrag wies die Kammer durch den angefochtenen Beschluss mit der Begründung zurück, der Antrag sei nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden.
Die Antragstellerin verweist auf den Umfang und die Schwierigkeit der Sache, hebt hervor, dass die privaten Sachverständigengutachten erst jetzt hätten eingeholt werden können und macht geltend, die Widersprüche zwischen den Ausführungen der Gutachter müsse das Gericht durch Anhörung schon von Amts wegen aufklären.
2. Das selbständige Beweisverfahren war bei Antragstellung Ende Januar 2006 bereits beendet. Der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ist nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums i.S.v. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO gestellt worden.
a) Mit der Übersendung des Gutachtens an die Beteiligten ist das selbständige Beweisverfahren erledigt, sofern weder das Gericht eine Frist gesetzt hat, noch die Beteiligten dem Gericht nach Erhalt des Gutachtens innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen (BGH v. 20.2.2002 - VIII ZR 228/00, BGHReport 2002, 570 m. Anm. Laumen = MDR 2002, 774 = NJW 2002, 1640).
Das aus § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO übernommene Kriterium des angemessnen Zeitraums ist nach den schutzwürdigen Interessen der Parteien und den verfahrensrechtlichen Erfordernissen zu bestimmen, wobei eine entscheidende Rolle spielt, ob es sich um ein schriftliches Gutachten handelt, das nach Umfang, Gehalt und Schwierigkeitsgrad einer sorgfältigen und damit zeitaufwendigen Prüfung bedarf und ob die betroffene Partei dazu sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen muss (OLG Brandenburg BauR 2002, 1743 [1735], m.w.N.).
b) Der Antragsgegnerin ist einzuräumen, dass der Gegenstand der Begutachtung umfang- und detailreich ist, wie aus den Gutachten und dem Antrag auf Einholung des Ergänzungsgutachtens hervorgeht.
Wie lange der gerichtliche Sachverständige für die Erstellung der Gutachten gebraucht hat, ist hingegen nicht von Belang, da Verzögerungen auf vielfältigen Gründen wie die Überlastung des Gutachters - oder wie hier dessen Krankheit - beruhen können.
Hieraus lässt sich für die Beurteilung der "angemessenen Frist" nach § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO kaum etwas herleiten.
c) Entscheidend ist folgendes:
Aus der Verfügung der Kammer vom 24.8.2005 war für die Beteiligten erkennbar, dass das Gericht das selbständige Beweisverfahren für beendet hielt, da ja nur noch der Gegenstandswert festzusetzen und die Sache abzurechnen war.
Schon aus diesem Gesichtspunkt war die Antragsgegnerin gehalten, in ange-messener Zeit und substantiiert mitzuteilen, welche Rechte sie im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens geltend machen wollte.
Das Ergänzungsgutachten lag ihr vor. Das Eingangsgutachten, zu dem sie Stellung genommen hatte, stammte vom 15.2.2004.
Hierzu sollte der Gutachter angehört werden.
Mit Schriftsatz vom 29.9.2005 war um eine Verlängerung der bis 4.10.2005 gesetzten Frist nachgesucht und eine Überprüfung durch den Sachverständigen und eine Stellungnahme binnen weiterer zwei Wochen in Aussicht g...