Leitsatz (amtlich)
Zur Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über eine Auslandsurlaubsreise in "Corona-Zeiten" auf einen Elternteil, wenn im Zielgebiet deutlich höhere Inzidenzwerte bestehen und das betroffene Kind ungeimpft ist.
Normenkette
BGB §§ 1628, 1697a; FamFG § 49
Verfahrensgang
AG Idar-Oberstein (Aktenzeichen 803 F 441/21 eA) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Idar-Oberstein vom 04.08.2021 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Entscheidungsbefugnis über die Teilnahme der gemeinsamen Tochter der Beteiligten D. H., geboren am ... 2005, an einer Urlaubsreise im Zeitraum vom 07.08.2021 bis zum 25.08.2021 nach Antalya/Türkei wird der Antragstellerin, der Kindesmutter, alleine übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Verfahrenswert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten sind die Eltern des Kindes D. H., geboren am ... 2005. Sie üben die elterliche Sorge bislang gemeinsam aus. D. lebt seit der Trennung der Eltern vor 2 1/2 Jahren im Haushalt der Mutter. Das Kind möchte, da die Antragstellerin in den Sommerferien keinen Urlaub bekommen hat, sondern arbeiten muss, im genannten Zeitraum mit seiner Tante und den Großeltern mütterlicherseits in deren Ferienwohnung in Antalya/Türkei Urlaub machen. Der Vater hat gegenüber Mutter und Kind die erforderliche Zustimmung zu dieser Urlaubsreise verweigert.
Die Mutter hat daher am 23.07.2021 beim Amtsgericht - Familiengericht - Idar-Oberstein beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Zustimmung des Antragsgegners zur geplanten Ferienreise zu ersetzen. Das Familiengericht hat daraufhin zunächst ohne Durchführung eines Anhörungstermins der Antragstellerin mit Beschluss vom 28.07.2021 nach § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis bezüglich der Reise übertragen.
Der Vater hat daraufhin die Durchführung mit Schreiben vom 29.07.2021 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im Rahmen des Anhörungstermins vom 04.08.2021 hat er eine von ihm verfasste schriftliche Erklärung vorgelegt. Hierin hat er auf die Gefahren der sog. "Delta-Variante" und die deutlich höheren Inzidenzen in der Türkei verwiesen und angeboten, der Antragstellerin und der Tochter eine andere Urlaubsreise in ein weniger risikoreiches Zielgebiet zu bezahlen. Im Falle einer Einstufung als Hochinzidenzgebiet drohten der ungeimpften Tochter bei Reiserückkehr eine 14-tägige Quarantäne und damit Fehlzeiten in der Schule.
Im Anhörungstermin haben sich die Antragstellerin und das betroffene Kind weiterhin für die geplante Urlaubsreise ausgesprochen. Der Vertreter des Jugendamtes zeigte für beide Positionen Verständnis.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die vorhergehende Entscheidung vom 28.07.2021 abgeändert und dem Antragsgegner die Entscheidung über die Durchführung der geplanten Urlaubsreise zur alleinigen Ausübung übertragen. Begründet wurde diese Entscheidung mit deutlich höheren Inzidenzen in der Türkei, weshalb das Robert-Koch-Institut von nicht notwendigen touristischen Reisen auch weiterhin abrate. Jüngst angestiegene Fallzahlen ließen zudem eine Hochstufung zum Hochrisikogebiet und damit eine Quarantäne befürchten. Weiterhin sprächen die in der Region wütenden Waldbrände gegen die geplante Urlaubsreise.
Die Antragstellerin hat sofort nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses Beschwerde gegen diesen eingelegt und beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über die Reise zu übertragen, da der Antragsgegner die Gefährdung durch das Coronavirus nur vorgeschoben habe, weil er den Kontakt des Kindes zu ihren Angehörigen unterbinden wolle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den in der Anhörung vom 04.08.2021 aufgenommenen Vermerk.
II. Die nach §§ 57 S. 2 Nr. 1, 58 ff FamFG statthafte und zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg.
Der Senat entscheidet hier wegen besonderer Dringlichkeit angesichts der übermorgen beginnenden Urlaubsreise ohne mündliche Verhandlung.
Die Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit zur Beschwerde ist gleichfalls nicht erforderlich, da die Antragstellerin ihr Rechtsmittel noch im Anhörungstermin vom 04.08.2021 eingelegt und über ihren erstinstanzlichen Vortrag hinaus keine weitere Begründung gegeben hat. Hierzu konnten sich jedoch der Antragsgegner und das Jugendamt bereits im Termin vom 04.08.2021 abschließend erklären.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg, denn die Antragstellerin als engere Bezugsperson der fast 16-jährigen Tochter kann zuverlässiger abschätzen, ob die konkret geplante Reise für diese eine erhöhte Gefährdung beinhaltet. Sie weiß, wo die Ferienwohnung ihrer Eltern liegt und wie diese ausgest...