Leitsatz (amtlich)

Zum Fortbestand des rechtlichen Interesses an der Feststellung der Weiternutzung einer Software nach Kündigung des Lizenzvertrages und zum Geheimhaltungsinteresse in einem solchen Fall.

 

Normenkette

ZPO § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 485 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 22.06.2012; Aktenzeichen 1 HK OH 2/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des LG Koblenz vom 22.6.2012 aufgehoben.

Der Beweisbeschluss der 1. Kammer für Handelssachen des LG Koblenz vom 11.11.2011 in der Fassung des Beschlusses vom 8.3.2012 bleibt bestehen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 20.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Softwareunternehmen und standen seit Mitte 1997 in Geschäftsbeziehungen; die Antragstellerin hatte als neue Lizenzinhaberin einen Lizenzvertrag der ... AG übernommen, der von der Antragsgegnerin mit Wirkung per Ende 2002 gekündigt wurde. Nach der Behauptung der Antragstellerin nutzt die Antragsgegnerin seither gleichwohl die Software unter Verstoß gegen die vereinbarten Geschäftsbedingungen bis heute unverändert weiter; die Antragstellerin hat hinsichtlich der Lizenzgebühr (Gebrauchsfortsetzung) für das Jahr 2007 die - zwischenzeitlich rechtskräftige - Verurteilung der Antragsgegnerin erreicht (Urteil LG Bielefeld vom 29.6.2011 [Bl. 10 ff. GA]; Beschluss OLG Hamm vom 11.6.2012 [Bl. 172 f. GA]).

Mit dem vorliegenden - noch vor dem Abschluss des Lizenzgebühr-Rechtsstreits eingereichten - Antrag erstrebt die Antragstellerin, die auch die Lizenzgebühren für die Folgejahre einzufordern beabsichtigt, die Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten hinsichtlich der Weiternutzung der F.-Software durch die Antragsgegnerin. Das LG hat mit Beschluss vom 11.11.2011 (Bl. 78 f. GA) die Beweisaufnahme durch schriftliches Sachverständigengutachten angeordnet; mit Beschluss vom 8.3.2012 (Bl. 121 GA) hat es die Beweisfrage wie folgt konkretisiert:

"... dass der Sachverständige sich darauf beschränken soll zu prüfen, ob Programmobjekte der F. auf den Servern der Antragsgegnerin vorhanden sind. Zu untersuchen ist die vorhandene EDV-Anlage. Die Betriebsfähigkeit von Software ist nicht zu prüfen, Zeugenbefragungen sind nicht Gegenstand des Sachverständigengutachtens."

Mit E-Mail an den Sachverständigen vom 19.4.2012 (Bl. 147 f. GA) bat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin darum, die seinerseits mitgeteilten Terminverschläge für den anstehenden Ortstermin nicht an die Antragsgegnerin weiterzuleiten, da diese "... alles tun wird, um die Durchführung des Besichtigungstermins zu verhindern, jedenfalls zu verzögern, um ausreichend Zeit zu haben, zu manipulieren."; es heißt dann weiter:

"Aus diesem Grunde bitten wir auch darum, die (...) nachstehend aufgeführten Systemobjekte nicht der Antragsgegnerin bekanntzugeben, da auch insoweit die Sorge besteht, dass manipuliert wird.

Die wichtigsten Systemobjekte lauten wie folgt:

[Auflistung]

Unsere Mandantschaft weist ausdrücklich darauf hin, dass eine umfangreiche Objektliste zum Termin gestellt wird, um entsprechend flexibel zu sein. (...)"

Mit Beschluss vom 22.6.2012 (Bl. 178 f. GA) hat das LG - nach vorangegangenem rechtlichen Hinweis (Verfügung vom 6.6.2012; Bl. 148 GA Rs. und Bl. 163 GA) - den Beweisbeschluss vom 11.11.2011 aufgehoben und den Beweiserhebungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen; zur Begründung wird darauf abgehoben, dass die eine umfassende Interessenabwägung erfordernde "Berechtigung der von den Parteien vorgetragenen Geheimhaltungsinteressen" im selbständigen Beweisverfahren nicht überprüft werden könne. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 2.7.2012 (Bl. 186 ff. GA), der das LG nicht abgeholfen hat.

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 490 Abs. 1 i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung des im selbständigen Beweisverfahren erlassenen Beweisbeschlusses und damit gegen die (nachträgliche) Zurückweisung eines das Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung betreffenden Gesuchs (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; vgl. Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 490 Rz. 4; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011, § 490 Rz. 3).

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

a) Allerdings war es dem LG, was die Beschwerde ohne Erfolg rügt, im Ausgangspunkt nicht etwa bereits aus prozessualen Gründen verwehrt, den Beweisbeschlusses nach nochmaliger Überprüfung im Verfahrenslauf wieder aufzuheben; die Vorschrift des § 360 ZPO findet hier keine Anwendung (vgl. OLG Köln NJW-RR 1992, 719; Greger in Zöller, a.a.O., § 360 Rz. 1).

b) Entgegen der Auffassung des LG besteht indessen die Zulässigkeit des Beweiserhebungsgesuchs nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO weiter fort.

aa) Die Bestimmung des § 485 Abs. 2 ZPO lässt eine von einem Beweissicherungsbedürfnis i...

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