Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen des Getrenntlebens innerhalb der Ehewohnung.

 

Normenkette

BGB § 1567 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Westerburg (Aktenzeichen 47 F 14/22)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Westerburg vom 09.03.2023, Aktenzeichen 47 F 14/22, aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Scheidungsantrag der Antragstellerin vom 21.01.2022, welcher dem Antragsgegner am 12.02.2022 zugestellt worden war, abgewiesen, nachdem es die beteiligten Ehegatten hierzu im Termin vom 27.02.2023 angehört hatte.

Die Antragstellerin hat angegeben, dass sie vom Antragsgegner innerhalb der Ehewohnung bereits seit Dezember 2020 getrennt lebe und für diesen keinerlei Versorgungsleistungen mehr erbringe. Sie bewohne mit den Töchtern das 1. OG, wo sie sich auch eine Küche eingerichtet habe. Der Antragsgegner bewohne das Erdgeschoss. Lediglich das Badezimmer nutze man notgedrungen noch gemeinsam, da sie sich ohne Kindesunterhaltszahlungen des Antragsgegners keine andere Wohnung leisten könne.

Der Antragsgegner hat die Trennung bestritten. Erst seit dem Hochzeitstag am 12.12.2021 habe sich die Antragstellerin aus seiner Sicht merkwürdig verhalten, ohne hierzu eine Erklärung abzugeben. Er hat sich dem Scheidungsantrag erstinstanzlich widersetzt, da er noch an die Möglichkeit einer Versöhnung glaubte.

Für die Antragstellerin überraschend hat das Amtsgericht den Scheidungsantrag mit der Begründung abgewiesen, dass das Trennungsjahr noch nicht abgelaufen sei, da auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragstellerin ein Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung nicht nachgewiesen sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 28.03.2023 Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.04.2023 weiter begründet.

Sie hat beantragt,

den Beschluss des Familiengerichtes vom 09.03.2023 abzuändern und die am 12.12.1996 vor dem Standesbeamten des Standesamtes W. zur Heiratsregisternummer ... geschlossene Ehe der Beteiligten zu scheiden.

Der Antragsgegner hat dem Scheidungsantrag mit Schriftsatz vom 19.05.2023 zugestimmt und beantragt,

die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.

Er macht geltend, dass erst jetzt - Ende April 2023 - das Trennungsjahr abgelaufen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II. Die nach §§ 58 ff, 117 FamFG statthafte und zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist in der Sache begründet.

1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung, da zusätzliche Erkenntnisse hieraus nicht zu erwarten sind. Der nach § 117 Abs. 3 FamFG erforderliche Hinweis wurde erteilt. Die Beteiligten haben der beabsichtigten Vorgehensweise ausdrücklich zugestimmt.

2. Die amtsgerichtliche Entscheidung ist auf der Grundlage des § 146 Abs. 1 FamFG aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ein entsprechender Antrag ist hierzu - abweichend von § 117 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO - nicht erforderlich. Nur in Ausnahmefällen kann von der Aufhebung und Zurückverweisung abgesehen werden, wenn diese zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung führen würde, die nicht durch nachvollziehbare Rechtsschutzinteressen eines Beteiligten gerechtfertigt erscheint (Prütting/Helms-Helms, FamFG 6. Aufl. 2023, § 146 Rn. 6).

Das Beschwerdegericht soll gemäß § 146 Abs. 1 FamFG die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn eine Entscheidung aufgehoben wird, durch die der Scheidungsantrag abgewiesen wurde und dort eine Folgesache zur Entscheidung anhängig war. Vorliegend ist nach § 137 Abs. 2 S.1 Nr. 1, S. 2 FamFG noch über die Folgesache Versorgungsausgleich zu entscheiden (Prütting/Helms-Helms, FamFG 6. Aufl. 2023, § 146 Rn. 4).

Entgegen der Annahme des Amtsgerichts war bereits im Termin vom 27.02.2023 von einem mindestens einjährigen Getrenntleben der beteiligten Ehegatten und einer nachhaltigen Ablehnung der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft seitens der Antragstellerin auszugehen, so dass die Voraussetzungen der Ehescheidung nach § 1565 Abs. 2 BGB vorliegen.

Gemäß § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die häusliche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben, § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Auf die an ein Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung zu stelle...

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