Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Regulierung von Unfallschäden ist dem Kfz-Haftpflichtversicherer grundsätzlich eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen, die mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens beginnt und vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und eine Klage nicht veranlasst ist.
2. Dem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, ist bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen im Regelfall eine Prüfungszeit von vier bis sechs Wochen zuzubilligen, vor deren Ablauf eine Klage nicht veranlasst ist.
3. Setzt der Geschädigte bei einem Verkehrsunfall mit Auslandsberührung (hier: polnischer Unfallverursacher), bei welchem offenbar er selbst ebenso wie weitere Unfallgeschädigte Schwierigkeiten zur Erlangung von Akteneinsicht in die Ermittlungsakte hat, dem Schadensabwickler/Haftpflichtversicherer des Schädigers eine unangemessen kurze Frist zur Zahlung (hier: 18 Tage), muss er vor der Erhebung der Klage nochmals auf eine Zahlung durch diesen hinwirken.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 121/20) |
Tenor
1) Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Kostenentscheidung im Anerkenntnisurteil der 10. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Koblenz vom 29. Juli 2020, Az.: 10 O 121/20, wird zurückgewiesen.
2) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
3) Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die gem. § 99 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits unter Anwendung von § 93 ZPO im Anerkenntnisurteil zu Recht dem Kläger auferlegt. Auf die zutreffenden Gründe der landgerichtlichen Entscheidung kann zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
1. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Beklagte vorliegend keine Veranlassung zur Klage im Sinne von § 93 ZPO gegeben hatte.
Veranlassung zur Klageerhebung gibt der Beklagte, wenn der Kläger aufgrund des Verhaltens der Beklagtenpartei vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Zöller/Herget ZPO 33. Aufl. § 93 Rn. 3; BGHZ 168, 57 juris Rn. 10). Dies ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn sich der Beklagte mit der berechtigten Klageforderung bei Klageeinreichung bereits im Verzug befindet. Bei der Regulierung von Unfallschäden ist dem Kfz-Haftpflichtversicherer grundsätzlich eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen, die mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens beginnt und vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und eine Klage nicht veranlasst ist. Die Zubilligung einer angemessenen Prüffrist liegt dabei im Interesse der Gesamtheit der pflichtversicherten Kfz-Halter, die über ihre Prämien die Unfallschäden im Ergebnis zu tragen haben, weshalb das anzuerkennende, im Übrigen durch Verzinsung zu berücksichtigende Interesse des Geschädigten an einer möglichst schnellen Schadensregulierung insoweit zurückzutreten hat (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10. November 2017, 4 W 16/17, ZfSch 2018, 201, Rn. 10 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. April 2010, 3 W 15/10, VersR 2010, 1306, Rn. 15; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. Mai 2018, 4 W 9/18, NJW-RR 2018, 1043, Rn. 10 f.; KG Berlin, Beschluss vom 30. März 2009, 22 W 12/09, VersR 2009, 1262, Rn. 7; OLG Stuttgart, Urteil vom 21. April 2010, 3 U 218/09, VersR 2010, 1074; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. Dezember 2014, 7 W 64/14, VersR 2015, 1373).
In Übereinstimmung mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung an, dass dem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen im Regelfall eine Prüfungszeit von vier bis sechs Wochen zuzubilligen ist, vor deren Ablauf eine Klage nicht veranlasst ist (vgl. Urteil vom 18. Februar 2015, 12 U 757/14, VersR 2016, 1269; Beschluss vom 20. April 2011, 12 W 195/11, Schaden-Praxis 2011, 337; Beschluss vom 14. August 2018, 12 W 355/18 (nicht veröffentlicht), Beschluss vom 13. August 2020, 12 W 302/20). Dabei ist indes nicht von starren Fristen auszugehen, die Angemessenheit der Frist hängt vielmehr von den individuellen Umständen des Einzelfalls ab und kann bei komplexem Unfallhergang, bei Auslandsberührung oder anderen Umständen im Einzelfall auch entsprechend zu verlängern sein. Ob dem Haftpflichtversicherer im einzelnen Fall innerhalb einer angemessenen Prüfungszeit auch zuzubilligen ist, zunächst die Ermittlungsakten einzusehen, wozu sich etwa bei einem bestehenden Informationsdefizit auf Seiten der Versicherung unter besonderen Umständen im Einzelfall die Notwendigkeit ergeben kann (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. September 2013, 3 W 46/13, DRR 2013, 708; OLG Stuttgart, Urteil vom 21. April 2010, 3 U 218/09, VersR 2010, 1074; KG Berlin, Beschluss vom 30. ...