Leitsatz (amtlich)
Die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht stellt dann kein gegenüber einem Sorgerechtsentzug nach § 1666 BGB geeignetes milderes Mittel dar, wenn die Eltern nicht aktiv am Leben ihres Kindes Anteil nehmen und nicht durch fortdauernde Kommunikation und Kooperation mit dem bevollmächtigen Jugendamt eine dem Kindeswohl entsprechende Sorgerechtsausübung gewährleisten (Anschluss an: OLG Hamm FamRZ 2015, 1906 und OLG Bremen FamRZ 2018, 689).
Normenkette
BGB §§ 1666, 1696 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Simmern (Aktenzeichen 51 F 392/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Simmern/Hunsrück vom 04.04.2023 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 EUR festgesetzt.
Die öffentliche Zustellung dieses Beschlusses an den Kindesvater E.S. wird bewilligt.
Gründe
I. Das Familiengericht hat mit dem angefochtenen Beschluss, auf welchen zur Darstellung des Sachverhalts sowie der die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Erwägungen Bezug genommen wird, in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise und mit zutreffender Begründung die Rückübertragung der der Kindesmutter mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 16.11.2018 entzogenen elterlichen Sorge oder von Teilbereichen dieser auf die Kindesmutter abgelehnt.
Auch das Beschwerdevorbringen und die Feststellungen des Senats in dem gemäß §§ 57 ff. FamFG statthaften und auch sonst zulässigen Beschwerdeverfahren führen zu keinem anderen Ergebnis.
Ein Sorgerechtsentzug ist gemäß § 1696 Abs. 2 BGB aufzuheben, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist. Eine Kindeswohlgefahr in diesem Sinne ist zu bejahen, so lange das körperliche, geistige oder seelische bzw. finanzielle Wohl des Kindes bei einer Rückübertragung des Sorgerechts durch - auch unverschuldetes - Versagen der Eltern bzw. des betroffenen Elternteils objektiv und nachhaltig gefährdet wird, wobei jedwede Maßnahme nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufrechterhalten werden darf (BVerfG FamRZ 2008, 492). Das Kindeswohl ist im Sinne von §§ 1696 Abs. 2, 1666 Abs. 1 BGB gefährdet, wenn eine gegenwärtige oder zumindest nahe bevorstehende, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Gefährdung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BGH FamRZ 2019, 598, 601; BGH FamRZ 2012, 99). An den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist. Eine abstrakte Gefährdung reicht jedoch nicht aus. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen (BGH FamRZ 2019, 598, 601; BGH FamRZ 2017, 212; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 1599). Die Gefährdung muss nachhaltig und schwerwiegend sein (BVerfG NJW 2010, 2333, 2334; OLG Köln NJW-RR 2011, 729).
Die vorstehend genannten, für einen fortwährenden Sorgerechtsentzug erforderlichen Feststellungen unterliegen dabei besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung (BGH FamRZ 2012, 99 und 2010, 720). Denn die verfassungsrechtliche Dimension von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG beeinflusst auch das Verfahrensrecht und seine Handhabung im Kindschaftsverfahren. Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen, weshalb insbesondere die zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen (BVerfG FamRZ 2009, 399, 400 und FamRZ 2002, 1021, 1023 sowie BGH FamRZ 2012, 99).
Nach diesen Maßstäben hat es bei dem Sorgerechtsentzug zu verbleiben.
Die Kindesmutter stellt ihre, durch erstinstanzlich eingeholtes Sachverständigengutachten bestätigte fortwährend eingeschränkte Erziehungsfähigkeit sowie den ebenfalls durch erstinstanzlich eingeholtes Sachverständigengutachten festgestellten Umstand, dass eine Rückkehr ihres Sohnes A. in ihren Haushalt deshalb weiterhin mit einer Kindeswohlgefährdung verbunden wäre (siehe u.a. Bl. 241, 323 f. d.A. 1. Inst.), nicht in Abrede. Das Gutachten ist auch schlüssig und widerspruchsfrei; Bedenken hinsichtlich der fachlichen Kompetenz der Sachverständigen sind nicht ersichtlich.
Zwar hat die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten vom 25.08.2022 eine positive Entwicklung bei der Kindesmutter verzeichnen können und festgestellt, dass diese gemeinsam mit ihrem Partner grundsätzlich dazu fähig ist, ein Kind zu erziehen. Allerdings attestiert das Gutachten im gleichen Zuge - von der Beschwerde nicht angegriffen - eine Überforderung im Falle der Erziehungsverantwortung für mehrere Kinder und die Kindesmutter strebt neben der Rückübertragung der elterlichen Sorge für A. dies parallel auch für weitere Geschwister an. Darüber hinaus hat die Sachverständige in ih...