Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Grenzen der vorläufigen Unterbringung
Leitsatz (amtlich)
›1. Der Beschleunigungsgrundsatz in "Haftsachen" gilt auch bei einstweiliger Unterbringung nach § 126a StPO.
2. Aus dem Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Regelüberprüfung bei einstweiliger Unterbringung zu schließen, diese Maßnahme dürfe auch dann, wenn den Strafverfolgungsbehörden vermeidbare Verfahrensverzögerungen anzulasten sind, praktisch zeitlich unbegrenzt vollzogen werden, wäre verfassungsrechtlich unhaltbar.
3. Wenn in einer relativ einfachen Sache, in der nur ein Hauptverhandlungstermin stattfand, mehr als die Hälfte der Zeit zwischen Beginn der Freiheitsentziehung und Urteil nichts geschehen ist, was auch nur ansatzweise als verfahrensfördernd bezeichnet werden könnte, kann schlechterdings nicht davon gesprochen werden, die Freiheitsentziehung sei noch verhältnismäßig.
4. In einem solchen Fall kann allein der Zweck der einstweiligen Unterbringung, nämlich die Allgemeinheit vor einem mutmaßlich gemeingefährlichen Täter zu schützen, die Fortdauer vorläufiger Freiheitsentziehung ebenso wenig rechtfertigen wie der Umstand, daß die im Raum stehende Unterbringung nach § 63 StGB unbefristet ist.‹
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 18.10.2006) |
Gründe
I. Der mit hoher Wahrscheinlichkeit unter einer Schizophrenie mit paranoid-wahnhafter Symptomatik leidende Beschwerdeführer ist seit dem 25. Januar 2006 - nunmehr also seit mehr als einem Jahr - gemäß § 126a StPO einstweilig in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Im Unterbringungsbeschluß des Amtsgerichts Koblenz vom 24. Januar 2006 war ihm zur Last gelegt worden, im Zustand krankheitsbedingter Schuldunfähigkeit folgende Taten begangen zu haben:
"1. Am 24.04.2005 fuhr der Beschuldigte mit einem Radlader zwischen den Wänden eines Fahrsilos hinter dem elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb in H... hin und her. Da der Vater des Beschuldigten, der Zeuge E... S..., häufig dem Beschuldigten folgte, um zu sehen, was dieser tat, entschloss sich der Beschuldigte, seinen Vater davon abzubringen. In Ausführung dieses Tatentschlusses fuhr der Beschuldigte nun mit dem erwähnten Radlader auf den Zeugen zu, um diesen zum Verlassen des Silos zu bewegen. Aus Angst, der Beschuldigte werde ihn mit dem Fahrzeug möglicherweise tatsächlich anfahren, verließ der Zeuge E... S... daraufhin das Silo.
2. Am 27.04.2005 gegen 14.40 Uhr kam es auf dem vorgenannten landwirtschaftlichen Anwesen zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Beschuldigten und dessen Schwager, dem Zeugen P... G.... Im Verlaufe der Auseinandersetzung nahm der Beschuldigte plötzlich eine brennende Zigarette zwischen seine Zähne und schob seinen Kopf mehrfach ruckartig vor in Richtung des Gesichts des Zeugen, wobei er mit der Zigarette auf dessen Nase zielte. Erst nach einiger Zeit gelang es dem Zeugen, sich aus dem Griff des Beschuldigten zu befreien und die Polizei zu rufen.
3. Während der Zeuge G... die Polizei informierte, begab sich der Beschuldigte, der zu diesem Zeitpunkt nicht über eine entsprechende Fahrerlaubnis verfügte, zu seinem nicht zugelassenen Pkw Pontiac und fuhr mit diesem über einen frei zugänglichen Wirtschaftsweg im Bereich H....
4. Am 30.04.2005 befuhr der Beschuldigte mit einem nicht zugelassenen und nicht versicherten Lkw Kramer OF 1001 die Landesstraße .. in Richtung S.... Auf die mit Blinklicht verbundenen Anhalteaufforderungen des ihm folgenden Polizeifahrzeugs kam der Beschuldigte nicht nach. Nachdem er von dem Polizeifahrzeug überholt und dies als Barriere quer über die Straße gestellt worden war, umfuhr der Beschuldigte das Fahrzeug unter Nutzung der linksseitigen Böschung. Ein erneutes Überholen des Lkw durch das Polizeifahrzeug verhinderte der Beschuldigte in der Folgezeit durch Steuern des Lkw auf die Fahrbahnmitte. Diese Fahrweise hielt er bei bis etwa 500 Meter hinter der Ortslage K..., wo er vor einer aus zwei Streifenfahrzeugen errichteten Barriere anhalten musste.
5. Am 18.01.2006 sollte der Beschuldigte auf Grund einer vorläufigen Unterbringung in der Betreuungssache durch Polizeibeamte der PI A... in die E... Klinik verbracht werden. Um ein Verbringen durch den Polizeibeamten N... in die vorgenannten Klinik zu verhindern, ergriff der Beschuldigte plötzlich einen 4,5 Kilo schweren Stahlhelm und warf diesen in Richtung des Polizeikommissars N.... Glücklicherweise konnte dieser noch rechtzeitig reagieren und sich mit erhobenen Händen schützend in die Hocke knien. Als der Polizeibeamte sich anschließend aufrichtete, versuchte der Beschuldigte an eine Schaufel zu gelangen. Dabei wurde er durch PK N... am Arm ergriffen. Der Beschuldigte versuchte sich erneut loszureißen und zu flüchten. Dem Polizeibeamten N... gelang es jedoch, den Arm des Beschuldigten nach unten zu ziehen, wodurch der Beschuldigte zu Boden stürzte. Durch die Widerstandshandlung wurde Polizeikommissar N... in Form einer Prellung und Schürfwunde an der rechten Hand und am rechte...