Normenkette

AEUV Art. 267 Abs. 3; BGB §§ 133, 157; GWB § 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 160 Abs. 2-3, § 168 Abs. 1 S. 1, § 179 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 12.08.2022; Aktenzeichen VK 1 - 6/22)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1 - 6/22) aufgehoben.

Das Vergabeverfahren "[...]" wird in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückversetzt und die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren - bei fortbestehender Beschaffungsabsicht - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.

Die gegen den zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin erfolgten Ausspruch der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1 - 6/22) gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich derjenigen des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB - sowie die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre Kosten des Verfahrens in beiden Nachprüfungsinstanzen selbst.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer war antragstellerseits notwendig.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf [...] EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Supplement zum EU-Amtsblatt vom [...] 2022 eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung bezüglich Dienstleistungen "[...]" im offenen Verfahren. Der Gesamtwert des Auftrags war antragsgegnerseits zuvor auf [...] EUR (netto) geschätzt worden.

In den Vergabeunterlagen ist das maximale Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung mit [...] EUR (netto) angegeben. Bei den Vergabeunterlagen befindet sich zudem ein Entwurf der abzuschließenden Rahmenvereinbarung. Dieser sieht in Ziffer 2.4 folgende Klausel vor:

"Die Rahmenvereinbarung kann vom Auftraggeber jederzeit vor Ablauf der Vertragslaufzeit mit einer Frist von fünf (5) Tagen in Schriftform gekündigt werden, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von [...] EUR (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist."

Unter anderem die Antragstellerin sowie die Beigeladene beteiligten sich mit fristgerecht eingereichten Angeboten an der Ausschreibung. Am 10. Mai 2022 schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV aus, weil darin fehlerhafte Preise enthalten seien und somit das Angebot nicht die (echten) erforderlichen Preisangaben enthalte. Die Preisblattanpassung stelle eine nachträgliche Änderung der Angebotspreise dar, die gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV nach Ablauf der Angebotsfrist aus Gründen der Gleichbehandlung aller Bieter im Rahmen der Wertung unbeachtlich zu bleiben habe. Mit Vorabinformationsschreiben vom 10. Mai 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin den Angebotsausschluss sowie die Absicht mit, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Mai 2022 rügte die Antragstellerin diese Absicht. Sie rügte unter anderem, dass weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen eine Höchstabnahmemenge angegeben sei, ab deren Erreichung die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung ende. Dies stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung und damit einen schweren Vergaberechtsverstoß dar. Ohne die Angabe von Höchstmengen sei die Kalkulation kaum zu bewerkstelligen gewesen. Sie - die Antragstellerin - habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Angabe von Schätz- und Höchstmengen bei Rahmenvereinbarungen nicht gekannt, sei sich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen und habe dennoch ein Angebot unter Zeitdruck abgegeben.

Am 19. Mai 2022 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück. Dies nahm die Antragstellerin zum Anlass, am 20. Mai 2022 einen Nachprüfungsantrag zu stellen.

Diesen hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 12. August 2022 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin sei bereits nicht antragsbefugt, denn sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass ihr durch die gerügten Vergaberechtsverstöße ein Schaden zumindest zu entstehen drohe. Denn das Angebot der Antragstellerin sei vorliegend aufgrund fehlerhafter Preisangaben ausgeschlossen worden. Hiergegen habe die Antragstellerin auch keine Rüge erhoben, weshalb von einem vergaberechtskonformen Ausschluss auszugehen sei. Damit habe die Antragstellerin - ungeachtet etwaiger der Antragsgegnerin unterlaufener Vergaberechtsverstöße - keine Chance mehr, den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten.

Eine derartige (zweite) Chance und damit die Antragsbefugnis der Antragstellerin folge auch nicht daraus, dass entweder das Vergabev...

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